Einblick in eine Elite: Ehrenhaft, bescheiden, einig

Einblick in eine Elite: Ehrenhaft, bescheiden, einig

Zu den Elite-Verbänden der Armee zählt das seit 1. Januar 2012 existierenden Kommando für Spezialkräfte (KSK). Aus taktischen Gründen öffnet das KSK seine Türe selten. Am 8. März 2012 jedoch gewährte der Kommandant, Oberst i Gst Laurent Michaud, seinem obersten politischen Chef, Bundesrat Ueli Maurer, und der Presse Einblick in das enorme Wissen und Können seiner Truppe. Am Sitz des Kommandos, auf dem Monte Ceneri, öffnete er die Tür zu seiner vorzüglichen Truppe mehr als einen Spalt weit. Mit dabei war Dr. Peter Forster, Chefredaktor des Schweizer Soldat. Gemäss unserer Statistik führte der Suchbegriff “AAD 10″ während des Jahres 2011 in über 3800 Fällen auf offiziere.ch und war somit auf der Liste der Suchbegriffe auf Platz 1. Deshalb bin ich Dr. Peter Forster besonders dankbar, dass er uns ein weiteres Mal einer seiner interessanten Artikel zur Verfügung stellt und eine mit dem Schweizer Soldat zeitgleiche Veröffentlichung ermöglicht. Peter, vielen Dank!
Im Kommandogebäude begann Oberst i Gst Michaud seine Einführung mit dem sechsteiligen Auftrag des KSK:

  • Schutz eigener Truppen, Personen und besonders schutzwürdiger Sachen.
  • Rettung und Rückführung von zivilen und militärischen Personen.
  • Beschaffung von Schlüsselinformationen.
  • Militärische Assistenz (Ausbildungsunterstützung und Beratung).
  • Kriminal- und sicherheitspolizeiliche Aufgaben im Armeebereich.
  • Durchführung von offensiven Aktionen im Rahmen der Abwehr strategischer Bedrohungen.

Das KSK ist dem Chef des Führungsstabes der Armee, dem Divisionär Jean-Marc Halter, unterstellt. Divisionär Halter schreibt in der vorzüglichen Informationsmappe des KSK, jede Armee habe gegenwärtig drei Herausforderungen zu meistern: die zunehmende Verwundbarkeit der eigenen Gesellschaft, neue grenzüberschreitende Bedrohungen, die sich rasch wandeln können und der steigende Kostendruck aufgrund knapper Ressourcen. Gefragt seien deshalb flexible Instrumente, die es erlauben, mit minimalem Mitteleinsatz wirkungsvolle Leistungen zu erbringen und die Freiheit und Unversehrtheit der Bevölkerung zu wahren. Das Werkzeug “Armee” generiere vor allem dann einen Mehrwert, wenn es sein Auge im Sinne der Nachrichtenbeschaffung vorzugsweise bereits vor einer Eskalation einsetze und so die Handlungsfreiheit der Entscheidungträger erhöhe. Mit dem KSK verfügten der Bundesrat und die Armee über ein derartiges Mittel. Dabei steht Qualität vor Quantität. Nicht zuletzt erlaube dies: jederzeit präzis dosierte Leistungen in verhältnismässiger Weise selbst in sensiblem Umfeld zu erbringen, in allen Lagen mit zivilen und militärischen Partnern rasch und effizient Bedrohungen zu begegnen und durch massgeschneiderte Verfahren mit geringem personellem Ansatz grosse Wirkung zu erzielen.
Den hohen Anspruch, den das KSK an sich selber stellt, unterstrich Oberst i Gst Michaud mit den Werten und Leitsätzen seines militärischen Verbandes. Die drei Werte lauten: Honor, Modestia und Unitas.

Die Leitsätze des KSK

  • Ehre: Wir übernehmen volle Verantwortung für unser Handeln. Wir wertschätzen und hinterfragen konstruktiv das “Eigene” und das “Andere”. Wir stehen zu unserem Wort und gehen mit Vorbild voraus.
  • Bescheidenheit: Wir wollen nicht auffallen durch Selbstverherrlichung; unser Handeln soll für uns sprechen. Wir streben nach Präzision und Höchstleistung. Die Auftragserfüllung kommt vor unseren persönlichen Bedürfnissen.
  • Einheit: Gemeinsam meistern wir jede Situation. Wir erfüllen den Auftrag, indem jeder seinen Beitrag zum Ganzen leistet. Für unsere Kameraden, Unterstellten und Vorgesetzten stehen wir ein.
Ein Scharfschütze der Schweizer Armee mit einem 12,7-mm-Präzisionsgewehr.

Ein Scharfschütze der Schweizer Armee mit einem 12,7-mm-Präzisionsgewehr.

Das KSK umfasst:

  • den Stab KSK auf dem Monte Ceneri;
  • die Stabskompanie KSK (bestehend aus einem aus dem Stand einsetzbaren professionellen Kern und einer Mehrheit von Milizkadern und -soldaten, mit dem Kommandozug, zwei Sicherungszügen sowie je einem Übermittlungs-, Nachrichten- und Logistikzug);
  • das Armeeaufklärungsdetachement 10 (AAD 10) auf dem Monte Ceneri;
  • das Militärpolizei Spezialdetachement (MP Spez Det) im Berner Worblaufen;
  • die drei Grenadierbataillone 20, 30 und 40, wobei letzteres ein Reserveverband ist (alles Milizverbände, die auf direkte
    Aktionen und Sonderaufklärung spezialisiert sind und die Elemente umfassen: Bataillonsstab, Grenadierstabskompanie, drei Grenadierkompanien
    für direkte Aktionen, Grenadieraufklärungskompanie für Sonderaufklärung und die Grenadierunterstützungskompanie);
  • die Miliz-Fallschirmaufklärerkompanie 17 (Fsch Aufkl Kp 17), mit dem Aussenstandort Magadino für den Sprungdienst;
  • das Ausbildungszentrum Spezialkräfte (AZ SK) in Isone, umfassend: Grenadierlehrgang, Grenadieraufklärer- und Fallschirmaufklärerlehrgang, Unteroffiziersschule, Offiziersschule, Scharfschützenkurse, Kurse Kämpfen und Leben im Felde, Technische Lehrgänge, Praktischer Dienst für Kader.
Unterstellung und Gliederung des KSK

Unterstellung und Gliederung des KSK

Was sich das KSK unter hoher Qualität – und nicht Masse – vorstellt, das zeigten auf dem Monte Ceneri knapp ein Dutzend Soldaten des AAD 10 in der kurzen Übung “PROTEC”. Im Einsatz standen sichtbar zehn Männer des AAD 10 und unsichtbar der Chef, der die Aktion aus der Luft führte – nicht mehr. Dem Schreibenden kam dabei sein gemeinsamer NATO-Dienst mit dem Kommandanten der niederländischen Spezialkräfte in den Sinn, der ihm eingebläut hatte: “Ein Dutzend Männer – und nicht mehr.” Zur Verfügung waren in der Luft zwei Helikopter EC-635, der erste für den Kommandanten der Aktion, der zweite zur Verstärkung und zur Evakuierung der zu schützenden Very Important Person und der Verwundeten. Am Boden verfügten die zwei Handvoll AAD-10-Soldaten über drei Spezialfahrzeuge, zwei weiss gestrichene und ein besonders gehärtetes in Tarnfarbe. Der Auftrag lautete: Es sei ein von Paramilitärs gefährdeter Botschafter sicher in eines der Kasernengebäude auf dem Ceneri zu bringen.

Um 11 Uhr rollt, vor Bundesrat Maurers Augen, der Botschaftskonvoi heran – mit dem gehärteten Wagen in der Mitte. Kurz vor dem Zielort steigt der Botschafter aus – acht AAD-10-Soldaten begleiten ihn eng in Richtung Kasernentüre, zwei Leibwächter decken ihn fast hautnah ab. Zum Glück für den Botschafter, ist man ersucht zu sagen. Im Engnis zwischen zwei Häusern lauern die Terroristen. Sie nehmen den Botschafter kurz vor der rettenden Türe heftig unter Beschuss. Einer der Leibwächter wirft sich vor den Botschafter und rettet ihm, selber schwer verletzt, das Leben.

Gleichzeitig setzt auf einem nahen Gebäudetrakt, der taktisch günstig liegt, einer der beiden Helikopter auf. Zwei weitere AAD-10-Soldaten springen aus dem EC-635 und nehmen von der Dachkante aus die Terroristen unter Beschuss. Es sind – getreu der Devise, dass nur die Qualität zählt – lediglich zwei Mann, die wirksam das Unterstützungs- und Deckungsfeuer schiessen. Blitzschnell rast ein Fahrzeug zur Überfallstelle. Unverletzt gebliebene AAD-10-Soldaten zerren den Botschafter in den Wagen und fahren mit ihm zu einer gut gelegenen anderen Ecke des Waffenplatzes. Dort kann ein Helikopter landen und dort wird der Botschafter in einem geeigneten Fahrzeug geschützt, während zwei Sanitäter dem verletzten Kameraden Erste Hilfe leisten.

Geführt wird das reibungslose Zusammenspiel vom Kommandanten der Aktion aus der Luft. Er hält mit allen Elementen und vor allem auch dem zweiten Helikopter Funkverbindung. Wenn man den Ablauf gut beobachtet, spricht man nicht mehr von einem minutiös genauen Vorgehen, sondern von einem Räderwerk, das auf die Sekunde genau spielt. Um 11.12 Uhr landet der zweite Helikopter auf einer geschützten Krete zum Ceneri-Pass hin. Zwei AAD-10-Soldaten schleppen den Botschafter im Laufschritt zur weit offenen Helikoptertür – innert Sekunden hebt der EC-635 ab: Die Very Important Person hat den heimtückischen Überfall überlebt und fliegt gen Magadino heil in Sicherheit.

Überzeugend wirkt auch der Einsatz der beiden Sanitäter, die ihrem verwundeten Kameraden sofort beistehen – gut gedeckt zwischen einem Haus und dem Botschafterfahrzeug, auch das in Nähe des Helikopter-Landeplatzes. Rasch stellen die Sanitäter fest, dass ihr Kamerad eine Infusion am linken Unterarm braucht. Professionell sucht einer die Ader, dann steckt er die Infusion. Schon liegt der Verletzte in einer feldgrau gestrichenen Wanne aus starkem Kunststoff. Mehrfach wird er an die Wanne gebunden – und auch für ihn naht der rettende EC-635. Die beiden Sanitäter schleppen den Verwundeten zügig zum Landeplatz. Dort legt ein Retter aus der Heli-Besatzung eine orange Bahre bereit. Der Verletzte wird auf die Bahre gelegt und noch einmal festgezurrt. Die orange Bahre passt genau in den EC-635: Der Verwundete hat auf dem Flug ins Spital Halt und rutscht nicht herum. Es ist 11.24 Uhr – innert kurzer Zeit hat das AAD 10 sein Können gezeigt, den Botschafter geschützt, den angeschossenen Kameraden gerettet und die Lage bereinigt. Bundesat Maurer ist beeindruckt, später wird er dem KSK und dem AAD 10 ausdrücklich danken.

Aus verständlichen Gründen zeigen sich die AAD-10-Soldaten nur maskiert und mit Helm. Auch das Gesicht und der Name des tüchtigen AAD-10-Kommandanten müssen geheim bleiben. Hingegen stellte Oberst i Gst Michaud am 8. März 2012 den Gästen drei Offiziere in aller Offenheit vor:

  • Oberstlt i Gst Nicola Guerini, seinen Stellvertreter und Stabschef, der namentlich über die Auswahl und Ausbildung der KSK-Männer informierte.
  • Oberstlt i Gst Alexandre Molles, den Kommandanten des Ausbildungszentrums, der früher die legendären Fallschirm-”Siebzehner” und das Gren Bat 30 kommandierte. Er referierte am Besuchtstag mit Herzblut über die Fallschirmaufklärer.
  • Oberstlt Fabio Svaizer, den Operationschef für das MP Spez Det, der sein Fachgebiet und die damit verbundene Übung “ZUGRIFF” vorstellte.

Was Guerini zur Selektion darlegte, das liess aufhorchen. Bundesrat Maurer nahm aufmerksam zur Kenntnis, wie gewissenhaft zum Beispiel die AAD-10-Männer ausgewählt werden. Das KSK erwartet eine abgeschlossene dreijährige Berufslehre, Matura oder Gleichwertiges, Führerausweis Kategorie B, Sehstärke Minimalvisus 0,8, eine reife Persönlichkeit, ein guter Leumund, sehr gute körperliche Verfassung, hohe psychische Belastbarkeit, hohe Flexibilität, Bereitschaft zu Auslandeinsätzen, gute Kenntnis einer zweiten Landessprache, wünschenswert gute Englischkenntnisse.

In die Überprüfung der Bewerber und die Auswahl der Anwärter investieren wir viel. Die Merkmale mentaler, fachtechnischer und körperlicher Eignung werden bei jedem Kandidaten angeschaut und hinsichtlich des Einsatzes im KSK ausgewertet. — Oberst i Gst Laurent Michaud.

Der Weg zur Anstellung im AAD dauert rund ein halbes Jahr. Er führt von der Anmeldung über die zweitägige Vorauswahl, die medizinisch-psychologischen Abklärungen, ein strenges Einzelinterview und einen dreiwöchigen Auswahlkurs. Erst dann folgt der anderthalbjährige Grundausbildungskurs. Was das AAD 10 unter guter körperlicher Eignung versteht, zeigen die Anforderungen im Sporttest: 50 Liegestützen ohne Unterbruch, 60 Rumpfbeugen ohne Unterbruch, 10 Klimmzüge ohne Unterbruch, 5-Kilometer-Geländelauf in Sportkleidern in höchstens 24 Minuten, 8-Kilometer-Eilmarsch im Tarnanzug mit Feldschuhen und 15-Kilogramm-Gepäck in maximal 58 Minuten, 25-Kilometer-Eilmarsch im Tarnanzug mit Feldschuhen und 25-Kilogramm-Gepäck (Richtzeit dreieinhalb Stunden) und 300 Meter Schwimmen in maximal 10 Minuten. Am Besuchstag legte Oberstlt i Gst Guerini Wert auf die Feststellung, dass wenn 50 Liegestützen verlangen seien, dann seien das nicht 45. Der Schreibende erinnert sich an eine Begebenheit aus der Inf OS 2005 in Colombier: Der damalige Chef, Oberst i Gst André Mudry, Oberst i Gst Michauds Vorgänger im KSK, ertappte einen Aspiranten, der statt 45 Liegestütze 55 aufschrieb. Mudry schloss den Mann aus und verteidigte den Entscheid: “On ne triche pas dans mon école.”

Das Militärpolizei Spezialdetachement kommt auch in "ziviler Uniform" zum Einsatz - hier bei der Evakuation eines VIP.

Das Militärpolizei Spezialdetachement kommt auch in “ziviler Uniform” zum Einsatz – hier bei der Evakuation eines VIP.

Gehen wir über zur kurzen Übung “ZUGRIFF” des MP Spez Det. Auch da lassen sich die beteiligten Militärpolizisten an zwei Händen abzählen. Im Detail geht es um die Überführung und Festnahme zweier Bösewichte, die mit gestohlenen Waffen handeln. Die beiden Übeltäter begegnen sich auf dem Monte Ceneri in einem Hof. Zum Übungsbeginn lümmelt der erste Verdächtige scheinbar unschuldig auf einem Parkplatz herum. Er trägt einen gut gepolsterten Bordeaux-Sweater; den Kopf verdeckt eine schwarze Sturmhaube. Ein silberner Kastenwagen ohne Polizei-Aufschrift fährt heran. Der MP-Gruppenführer verfolgt die Szene – mit sieben Polizisten im Rücken. Oberhalb des Hofes beobachtet auch der Einsatzleiter den Mann im Bordeaux-Sweater. Der Polizeioffizier sitzt in einem unauffälligen Personenwagen, den höchstens die Antenne verrät. Nun kommt der zweite Bösewicht ins Spiel. Er soll dem Waffenhändler das Diebesgut abnehmen. Auch er ist, orange gekleidet, gut gepolstert und maskiert. Kurz umarmen sich die beiden Übeltäter, dann geht es zur Sache. Der Waffenhändler übergibt dem orangen Mann ein Paket und erhält dafür einen schwarzen Sack, vermutlich voller Geld. Damit sind die beiden Verbrecher fürs erste überführt. Über Funk gibt der Einsatzleiter grünes Licht für den Zugriff. Mit lautem Knall lenkt eine Petarde die Bösewichte für den Sekundenbruchteil ab, der über Erfolg oder Misserfolg der Aktion entscheidet. Aus dem Kastenwagen rennen die Militärpolizisten auf die Gangster zu. Einer nach dem andern werden die Übeltäter zu Boden gerissen, überwältigt, in Handschellen gelegt, abgeführt und in zwei Wagen dem Staatsanwalt zugeführt. Zum Beweis wird der gesamte Ablauf gefilmt. Zu guter Letzt überprüfen Spezialisten die Automobile der Übeltäter. Sie öffnen die Wagen und decken die Sitze ab.
Welchen Nutzen erbringt das KSK für die Schweiz? Oberst i Gst Laurent Michaud nennt fünf Punkte:

  • Wahrung der Handlungsfreiheit für bedrohte Schweizer im Ausland.
  • Internationales Netzwerk für Nachrichten und Lessons Learned.
  • Aufwertung der Reputation der Schweiz und der Schweizer Armee.
  • Kompetenzzentrum für die Armee.
  • Entwicklung von technischen, taktischen und materiellen Anpassungen an die operationellen Bedürfnisse.

Bundesrat Maurer hielt erstens fest, dass sich es sich lohnte, die Spezialkräfte unter einem Kommando zusammenzulegen und dem Führungsstab zu unterstellen. Zweitens dankte er dem AAD 10 für den Einsatz in der Schweizer Botschaft in Libyen. Auch eine ausländische Firma könne eine Botschaft bewachen. Das AAD 10 sei aber in jedem Fall vorzuziehen. Drittens nahm Maurer auf eine frühere Aussage zum Einsatz des AAD 10 im Inland Bezug: Der Kernbereich des AAD-Einsatzes bleibe selbstverständlich das Ausland. Viertens übte Maurer Kritik am Schweizer Entscheidungsweg in Krisen: “Wir müssen das Procedere verkürzen.” Ja, das mühsame politische Entscheiden müsste so zügig vorangehen, wie das KSK jeweils zuschlägt, fügt der beeindruckte Berichterstatter an.