Das VBS soll nicht von Wunschwelten, sondern von der Realität ausgehen

Das VBS soll nicht von Wunschwelten, sondern von der Realität ausgehen

Der Bundesrat könnte das Volksnein zum Gripen jetzt nutzen, um die bisherige Beschaffungspolitik anzupassen. Die Aussagen der letzten Wochen lassen leider anderes vermuten, befürchtet Georges Bridel
aus der NZZ am Sonntag von 31.08.2014, Seite 21 (Hervorhebungen durch Giardino)
Bereits vor rund zehn Jahren wollte die damalige Armeeführung im Hinblick auf die Ablösung des F-5E Tiger neu 30 Kampfflugzeuge für 2,2 Milliarden Franken kaufen. Der Betrag war viel zu tief angesetzt. In der Folge wurden das Budget erhöht, die Anzahl auf 22 Flugzeuge reduziert und mit dem Gripen das vermeintlich preisgünstigste Flugzeug ausgewählt. Vermeintlich deshalb, weil Entwicklungskosten und -zeit sowohl vom Hersteller als auch von den Schweizer Beschaffungsinstanzen unrealistisch tief eingesetzt worden waren.
Schon nach der Typenwahl im November 2011 wurde von unabhängigen Experten eine Reihe von Fragen aufgeworfen, deren Beantwortung unzureichend blieb beziehungsweise bis heute offen ist. Ungenügende Beschaffungsreife (vom Gripen E gibt es bis heute nur einen Demonstrator-Prototyp) und zu hohe Betriebskosten (parallel zum F/A-18) waren die zwei kritischsten Punkte. Der gesamte Beschaffungsprozess war wohl geleitet von wenig realistischen Wunschvorstellungen. Die solide und umfangreiche Arbeit der «Subkommission Flugzeugbeschaffung» der Sicherheitspolitischen Kommission, geleitet von Nationalrat Thomas Hurter, floss leider nicht in den Beschaffungsprozess ein.
Wo stehen wir heute? Eine nüchterne Beurteilung zeigt, dass die Lage – auch ohne Gripen E – nicht dramatisch ist. Die Sicherheit unseres Landes aus der Luft ist nicht gefährdet, weder in der Luftüberwachung noch in der Luftverteidigung. Die kürzlich umfassend modernisierten F/A-18 C/D, unterstützt durch die verbleibenden F-5E Tiger, reichen noch für 10 bis 15 Jahre.
Was nachher geschehen soll, ist weit weniger klar. Aus dem Verteidigungsdepartement VBS vernehmen wir folgende Prioritäten:

  • Unbemannte Flugzeuge/Drohnen: Bedarf und operationelles Konzept sind unbekannt.
  • Weiträumige Flieger- und Flugkörperabwehr: Welches sind die realistischen Szenarien, wie sieht der Bedarf aus? Zudem ist dies nur in grenzüberschreitender Zusammenarbeit machbar. Was denkt das VBS dazu?
  • Vorverurteilung eines Weiterbetriebs des modernisierten Tiger: Die Beschreibung «hoffnungslos veraltetes Gerät» ist nicht seriös, basiert nicht auf soliden operationell-technisch-finanziellen Analysen. Warum diese Eile?
  • Wiedereinführung des Erdkampfes, obwohl die Luftwaffe erdkampftaugliche F/A-18-C/D- Flugzeuge (A = Attack) vor zwanzig Jahren beschafft hatte und sie in dieser Mission nicht nutzt. Wo sind die Szenarien, welche eine Wiedereinführung erfordern?
  • Für den Ersatz der F/A-18 C/D und F-5E Tiger sollen ab 2022 offenbar 44 neue Flugzeuge beschafft werden. Die Gesamtkosten für so viele Flugzeuge werden zu hoch sein.

Es braucht jetzt eine realistische sicherheitspolitische Auslegeordnung. Auf dieser Basis wären die für die Schweiz relevanten sicherheitspolitischen und militärischen Szenarien abzuleiten. Die militärischstrategischen Varianten und Optionen wären danach einer Bewertung hinsichtlich finanzieller und politischer Realisierbarkeit und Wünschbarkeit zu unterziehen – mit entsprechender Priorisierung. Es ist wenig seriös, global auf Gefahrenpotenziale hinzuweisen und auf dieser Basis den Rüstungsbedarf zu definieren.
Es gibt, wie immer, auch hier Sofortmassnahmen, deren Evidenz noch vor dem Vorliegen des Endresultats der Gesamtanalyse augenfällig ist. Dazu gehört der Weiterbetrieb beziehungsweise die technisch-operationelle Verbesserung der vorhandenen F-5E Tiger. Zu modernisieren sind im Wesentlichen Radar und Cockpit. Damit kann der Tiger in den drei zentralen Bereichen weiterhin eingesetzt werden: Unterstützung der F/A-18 im Luftpolizeidienst, kostengünstiges Einsatztraining sowie Zieldarstellung für die F/A-18 C/D und für die Fliegerabwehr.
Finanziell und technisch sind die Abklärungen weitgehend gemacht. Die Modernisierung der Tiger ist realisierbar, und zwar zu weniger als der Hälfte der vom VBS genannten Kosten von einer Milliarde Franken. Die Betriebskosten von 30 F-5E Tiger liegen bei weniger als einem Drittel jener des F/A-18 C/D. Gemäss den Antworten auf die parlamentarischen Anfragen rechnet das VBS aber mit einem kompletten Umbau samt neuen Waffen. Das ist nicht erforderlich. Ein realistisch modernisierter Tiger wird nie gegen einen Hochleistungsjäger antreten, er hat andere Aufgaben (siehe oben). Ohne Weiterbetrieb der Tiger kommen zudem die F/A-18 C/D zu früh an ihr Lebensende.
Die Stimmbürgerin und der Stimmbürger verfügen zwar nicht über die Expertise, einen derart komplexen und spezifischen Themenbereich zu analysieren und zu beurteilen. Sie merken aber sehr wohl im Verhalten und in der Diskussion der direkt Beteiligten, ob eine Vorlage Zustimmung verdient oder nicht – wie es eben am 18. Mai 2014 geschah. Das ist letztlich beruhigend.
 
BridelGeorges Bridel, 68, war als ETH-Ingenieur international tätig in der Entwicklung von Militärflugzeugen, unter anderem für die EADS (auch bei der letzten Beschaffung in der Schweiz), für Boeing, Dassault und Rolls Royce. Der frühere Luftwaffenoffizier arbeitet heute für ALR Aerospace, Zürich, und für ein europäisches Projekt in Frankreich.

 

Kommentare: 6

  1. Sicher sind das kostenmässig interessante Aussagen, die ich jedoch nicht beurteilen kann. Was mir hier nicht passt, ist dieser Satz: “Zudem ist dies nur in grenzüberschreitender Zusammenarbeit machbar.” EU-Turbo? Sorry, wer weiss denn im voraus, wo der Feind sitzt. Also mir behagt das überhaupt nicht. Meines Erachtens muss die Schweiz sich ohne fremde Hilfe verteidigen können. Ist das wirklich eine Illusion oder sind wir so arm geworden, dass wir Partner benötigen? Gegen wen?

  2. Hans Ulrich Suter sagt:

    Oder frei nach J.J. Rousseau aber mit demselben Inhalt: “Es gibt nicht einen einzigen unter ihnen, der – wenn er wirklich das Wahre und das Falsche erkannt hätte – nicht die Lüge der Wahrheit vorzöge, die ein anderer gefunden hat. Wo ist der VBS-Mitarbeiter, der um seines Ruhmes und seiner gesicherten Stllung willens nicht gern die Menschen täuschte? Wo ist derjenige, der sich im Innersten seines Herzens ein anderes Ziel steckte, als sich hervorzutun?”

  3. Willy Stucky sagt:

    Frau Weingartner trifft einmal mehr den Nagel auf den Kopf. Es bestreitet ja niemand, dass ein älteres Flugzeug nachgerüstet werden kann. Die Frage ist, ob die reiche, einst stolze Schweiz ein älteres Flugzeug nachrüsten soll. Der Bundesrat hatte die Gripen-Vorlage lustlos durchgewinkt und versucht nun, das Volksnein zu dieser Vorlage finanzpolitisch auszuschlachten – mit anderen Worten, der Bundesrat will die Schweiz weiter abrüsten, was die meisten Regierungen Westeuropas ebenfalls immer noch tun.
    Insofern ist unsere Lage tatsächlich nicht prekär. Alles, wozu sich die mächtige Nato an ihrem jüngsten Gipfel als Antwort auf die Ukraine-Krise durchringen konnte, ist die Bildung einer neuen Eingreiftruppe mit maximal 5’000 Mann, also keiner Speerspitze, sondern eines Papiertigers.
    Was müssen wir als neutraler Kleinstaat also verhindern? Wir müssen verhindern, dass bei uns ein Machtvakuum entsteht, welches irgendeine fremde Macht dazu nutzen könnte, aus dem Herzen Westeuropas heraus zu operieren. Seit exakt 200 Jahren ist die Schweiz völkerrechtlich dazu verpflichtet, ein solches Machtvakuum mit eigenen Mitteln zu verhindern, weshalb wir auf unserem Staatsgebiet (unter Berücksichtigung unseres starken Geländes) die beste Armee haben müssen, zu welcher selbstverständlich auch eine kostspielige und scheinbar überproportionierte Luftwaffe gehört.

  4. Konrad Alder sagt:

    Die Beschreibung „hoffnungslos veraltetes Gerät“ basiert, wie die Antwort des Bundesrates vom 27.8. auf die Interpellation von Ständerat und SiK-Mitglied Isidor Baumann eindrücklich belegt, sehr wohl auf einer soliden Analyse. Diese ist glaubwürdiger als die nun wie Pilze aus dem Boden schiessenden Vorschläge von Interessenvertretern mit dem Ziel, unsere rund 40-jährigen F-5E nach einer teuren Modernisierung mit einem fragwürdigen operationellen Nutzen im Dienst zu belassen. Der Autor schlägt ein Upgrade mit Kosten von mehreren CHF 100 Mio. vor. Die so modernisierten Maschinen sollen dann gemäss seinen Ausführungen Einsätze fliegen, die von den F-5E bereits heute weitgehend abgedeckt werden. Bridel enthält sich einer Aussage über die zeitlichen Konsequenzen. Denn er müsste zugeben, dass ein nach seinen Vorstellungen modernisierter Tiger erst nach 2020 der Truppe zulaufen könnte. Jede weitere mit einer finanziell aufwendigen Modernisierung verbundene Verwendung des F-5E gefährdet die Beschaffung eines zukunftsfähigen Waffensystems ab 2020 und damit die Existenz unserer Luftwaffe als eines der wichtigsten sicherheitspolitischen Instrumente unserer Landesregierung. Der Kauf von 44 neuen Kampfflugzeugen wäre immerhin ein mutiger und im Lichte aller in den vergangenen 30 Jahren gewonnen Erkenntnisse über die Bedeutung von „Air Power“ richtiger Schritt. Denn es gibt, das haben alle militärischen Konflikte der jüngeren Geschichte gezeigt, keine glaubwürdige Sicherheit am Boden ohne die Unterstützung durch eine leistungsfähige Luftwaffe!

    • Hans Ulrich Suter sagt:

      Ich weiss nicht wie oft man das noch sagen muss: Die Beschaffung modernerer Kampfflugzeuge wurde vom Volk abgelehnt. Das ist die Faktenlage. Ich habe das Gefühl das Geschwafel von “hoffnungslos veraltetem Gerät” entspricht in etwa der gleichen Geisteshaltung wie die “erfolgreichen Bilateralen”, nämlich dem Wunsch die ungeliebten Volksabstimmungen zu übergehen. Das Volk hat aber der Wehrpflicht zugestimmt und die High-Tech Geräte der Luftwaffe abgelehnt (gegen meinen Willen!). Für mich bedeutet das, dass das Volk will, dass man wieder praktisch alle Bürger (und Bürgerinnen) als Soldaten einzieht (und nicht nur bis zum Alter 30) und ausrüstet, während der hochtechnisierte Militärteil zurückzufahren ist. Auch scheinen die gegenwärtigen Konflikte nicht wirklich von “Cyberwar” zu handeln….. Ich persönlich gehe davon aus, dass man modernere Kampfflugzeuge nicht braucht, bis die Drohnen soweit entwickelt sind, dass man sie nicht einfach mit konventioneller Flak abschiessen kann. Aber ich bin sicher, auch diese wurde vom Ehemaligen MilitärDepartement (EMD), als hoffnungslos veraltet angesehen und verschrottet wurde.

  5. AW sagt:

    Herr Bridel hat absolut Recht mit seinen Aussagen. Leider habe von ihm vor ein paar Tagen die folgende Aussage gelesen, die irgendwie widersprüchlich und bedenklich ist. Dort sagt er u.a
    “”Die Luftwaffe muss fähig sein, sowohl angreifende Ziele zu bekämpfen (defensive Luftverteidigung), als auch die gegnerische Luftwaffe in deren Raum anzugreifen (offensive Luftverteidigung).» Solche Aussagen hält Bridel, der seit 1980 international in der Entwicklung und Analyse von Militärflugzeugen tätig ist, für «völlig absurd». ”
    http://www.limmattalerzeitung.ch/schweiz/fuer-luftwaffenexperte-fehlt-bei-maurers-armee-reform-eine-gesamtstrategie-128312217

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