Das VBS sollte die Tiger-Flotte nicht verhökern, sondern günstig modernisieren

Das VBS sollte die Tiger-Flotte nicht verhökern, sondern günstig modernisieren

20140309 J3030Der Gripen-Entscheid ist gefallen. Dennoch (oder gerade deshalb) interessiert, wie ernst die Evaluation von kostengünstigeren Alternativen ausgefallen ist. Hat der Bundesrat nur eine teure Neuanschaffung ins Auge gefasst, oder hatte er auch die andere, billigere Option einer Modernisierung eingehend geprüft, die ebenfalls eine effiziente Luftverteidigung ermöglichen könnte?
von Pierre Heumann, BaZ Redaktor
Ein Blick auf offizielle Stellungnahmen zur Option «Modernisierung des Bestandes» weckt den Verdacht: Die entsprechenden Abklärungen waren möglicherweise bloss eine Alibiübung: Sie wurden husch, husch geschrieben. Im April 2011 beauftragte VBS-Chef Ueli Maurer die Armee und die Beschaffungsbehörde Armasuisse, die Rüstungsplanung der Luftwaffe gesamtheitlich zu überarbeiten und die «Machbarkeit einer Modernisierung der Kampfflugzeuge des Typs Tiger F-5 zu überprüfen». Den Experten wurde eine Frist bis Ende Jahr vorgegeben. Da es für das Upgrade einer Flotte keine Lösungen von der Stange gibt, waren die paar Monate äusserst knapp bemessen. Doch offenbar mochte der Bundesrat auch diesen engen Termin nicht abwarten. Denn er entschied schon nach kürzester Zeit, dass sich eine Modernisierung der Tiger-Flotte nicht lohnen würde.
«Ende der Nutzungsdauer»
Bereits am 30. November war die Modernisierung des Tigers kein Thema mehr. Die Fachleute schöpften die ihnen vorgegebene Frist nicht voll aus, um die komplexe Frage abzuklären. In einer VBS-Mitteilung hiess es am 30. 11. 2011, der Bundesrat habe die Beschaffung von 22 Gripen beschlossen. Die in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie, die eine Modernisierung hätte prüfen sollen, wurde nicht erwähnt. In einem separaten Faktenblatt des VBS hiess es nur, der Tiger sei «am Ende der Nutzungsdauer angekommen». Die Technologie sei veraltet. Ein Upgrade des F-5 «wäre möglich, allerdings könnten die notwendigen Anforderungen bestenfalls annäherungsweise erfüllt werden». Zudem lasse sich die F-5-Lebenszeit auch durch Upgrades «nicht beliebig verlängern». Das VBS rechnet, dass die Modernisierung von 30 Tiger F-5 eine Milliarde kosten würden – und das sei «unverhältnismässig».
Maurer kam im März 2014 auf die Modernisierung von F-5 zurück, als er das Rüstungsprogramm 2014 und die Botschaft zur «Ausserdienststellung von Rüstungsmaterial» vorlegte. Man sei nach «umfassenden Abklärungen über die Möglichkeiten einer Modernisierung» zum Schluss gekommen, dass kein «günstiges Kosten-Nutzen- Verhältnis erzielt werden könnte». Bis Mitte 2016 werde der Tiger ausser Dienst gestellt, da er wertlos sei. Investitionen in einen Einsatz um weitere zehn bis 15 Jahre würden sich nicht rechnen.
Dass dieser Schluss übereilt sein könnte, hat Kollege Beni Gafner an mehreren Beispielen ausländischer Luftwaffen gezeigt («Erfrischungskur für den alten Tiger», BaZ, 10. 6. 2014). Der Bundeshauskorrespondent beschreibt mehrere Programme zur Kampfwertsteigerung des Tigers, die zu relativ geringen Kosten mit Erfolg durchgeführt wurden. Brasilien hat für 230 Millionen Dollar Elektronik und Cockpit der 46 Tiger modernisiert. Seither seien die brasilianischen Tiger auch schlechtwetter- und nachtkampftauglich. Neben Brasilien haben Länder wie Thailand, Chile und Marokko in ihre alten Tiger investiert und sie auf modernsten Stand gebracht.
Gafners Artikel wurde im VBS gelesen – aber nicht ernst genommen. An einer Zusammenkunft von mehreren Milizorganisationen soll sich VBS-Chef Maurer letzte Woche herablassend über die Recherchen Gafners geäussert haben. Er sei mit den Zahlen «unpräzise» umgegangen, protokollierte ein Teilnehmer. Doch Fachleute bestätigen: Die Tiger-Modernisierung kann eine kosteneffiziente Option sein. «Die Modernisierung eines alten Flugzeugs kostet höchstens 50 Prozent einer Neuanschaffung», sagt zum Beispiel Netta Kerem, Marketingchef bei Israel Aerospace Industries (IAI). Die Erfrischungskur habe zwar auch Nachteile. So hat man es mit einem etwas älteren Flugzeug zu tun, dessen Aerodynamik nicht mehr dem neusten Stand entspricht. Diese Schwächen können hingegen durch den Einsatz moderner Avionik- und Missionssysteme mehr als wettgemacht werden. Die Modernisierung sei deshalb ein «guter, kosteneffizienter Kompromiss», sagt Kerem. Kampfjets aus der Vergangenheit mutieren zu topmodernen Kampfflugzeugen.
So gelang es IAI, in bestehenden Flugzeugen mit dem sogenannten Aesa-Radar modernste Elektronik zu integrieren, die auch für den Gripen vorgesehen war. IAI gehört zu den führenden Spezialisten für die Aufrüstung von Tiger-Maschinen. Von allen F-5-Flugzeugen, die derzeit weltweit im Einsatz sind, seien zwei Drittel durch IAI modernisiert worden, heisst es bei IAI.
Schnäppchen für die USA
Auch Northrop Grumman bietet für ihre F-5 eine Aufwertung an – ein Navigationssystem, das auch im F-16 eingesetzt wird. Dieses wurde in Tiger eingebaut, die die USA der Schweiz 2002 abgekauft hatten. Nachdem die Jets in Emmen demontiert und zum Northrop-Grunman-Werk in Florida gebracht worden waren, wurden die Tiger komplett überholt. Im Northrop-Bericht wird speziell die geringe Zahl der Flugstunden gelobt, welche die ehemaligen Schweizer Kampfjets angesammelt hatten. Die USA kamen so zu einem sehr günstigen Preis zu ihren Flugzeugen.
Dieses (für die Schweiz schlechte) Geschäft soll sich wiederholen. Im Vorfeld der Abstimmung über den Gripen hatte Christian Catrina, Chef Sicherheitspolitik im VBS, von Offerten für den Tiger gesprochen, die eingegangen seien. «Die ersten 18 können wir möglicherweise noch 2014 verkaufen,», sagte Catrina in einem Interview mit der Nordwestschweiz. Als Käufer stand die US Navy im Vordergrund: Sie dürfte sich wie vor zwölf Jahren über das Schnäppchen freuen, das sie der Schweiz verdanken kann.