Die 9 gravierendsten Irrtümer in der aktuellen Diskussion

Die 9 gravierendsten Irrtümer in der aktuellen Diskussion

Die militärpolitische Lage in der Schweiz ist nach der Ablehnung des Gripen desolat. Es fehlt der Konsens im Bundesrat, in den Kammern der Räte, bei den staatstragenden Parteien und in den Miliz­ verbänden.
Manche Leute glauben, dass man nach dem (vorläufigen) Scheitern der Erneuerung der Luftwaffe einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Man wendet sich wieder dem Umbau der Bodenstreitkräfte (WEA) zu und geht davon aus, entstandene oder entstehende Lücken mit BODLUV zu kompensieren. Wir bezweifeln, dass das klug ist.
Es braucht zunächst einen neuen Minimalkonsens unter den sicherheitspolitisch verantwortungsvollen Kräften. Dem dient ein bald vorliegendes Update zum Sicherheitspolitischen Bericht von 2010. Nachdem ein solches Update vom VBS schon angekündigt ist, sollte es der zurückgestellten WEA vorgezogen werden. Denn jeder Politiker, der sich der Konsens­ bildung entziehen will (und das dürften in Bundes­ Bern aktuell nicht wenige sein), wird sagen: Bevor ich über die Details einer weiterentwickelten Armee (WEA) befinde, will ich eine aktuelle sicherheits­ politische Lagebeurteilung und Strategie sehen. Das vermag ein gutes Update zum Sicherheitsbericht 2010 bieten.
Der Hinweis, die erarbeitete und vom Departement für den Spätsommer in Aussicht gestellte WEA ziehe
die Lehren aus dem letzten Sicherheitsbericht von 2010 sowie dem dazugehörigen Armeebericht, sticht wohl nur noch bei den – immer weniger zahlreichen – «wohlgesinnten» Sicherheitspolitikern. Dem grossen Rest ist es heute egal, was Bundesrat und VBS vor vier Jahren in den Berichten des Jahres 2010 dazu geschrieben haben. Vier Jahre sind in der Politik eine Ewigkeit, vor allem, wenn dazwischen noch Wahlen liegen.
Das VBS wäre darum gut beraten, jetzt einen Top­Down­Approach zu wählen. In hoher Kadenz sollte das Update des Sicherheitsberichtes vorliegen, dann – darauf abgestimmt – die WEA und die Konzeption Luft (in Umsetzung des Postulates Galladé). Zu allen drei Vorlagen sollte der Bundesrat anschliessend das Plazet der beiden Kammern der eidgenössischen Räte einholen.
Unsere Studie richtet vor diesem Hintergrund den Blick auf einige zentrale Feststellungen, Tatsachen und Eckwerte unserer Sicherheits­ und Militärpolitik. Sie tut das in Form von aus der laufenden Diskussion aufgegriffenen Irrtümern und unseren Entgegnungen dazu. Mit diesem dialektischen Ansatz wollen wir mithelfen, den abhanden gekommenen Konsens wieder herzustellen.

  • Irrtum 1: «Die Sicherheitspolitik hat sich fundamental gewandelt – die Rezepte von früher gelten heute nicht mehr.»
    Fakt ist: Was die Zukunft bringen wird, weiss niemand. Die Sicherheitspolitik hat mit Blick auf alle Eventualitäten und mit entsprechender Aus­ gestaltung ihrer Mittel das Erreichen der verfas­ sungsmässigen Ziele sicherzustellen. Und diese Ziele sind unverändert gültig.
  • Irrtum 2: «Die Welt wird laufend sicherer.»
    Fakt ist: Es findet rund um Europa eine «Rückkehr der Geschichte» statt.
  • Irrtum 3: «Russland verfolgt nur legitime Sicherheitsinteressen.»
    Fakt ist: Europas Schwäche ist Russlands Stärke.
  • Irrtum 4: Wir hätten die falsche Armee – heute bedingten Cyber War und asymmetrische Konflikte andere Mittel.
    Fakt ist: Die aktuellen Konflikte zeigen uns: neu­ artige Bedrohungen ersetzen klassische Konflikte nicht, sie kommen komplementär dazu. Entspre­ chend muss eine verantwortungsvolle Sicherheits­ politik sowohl verschiedenen Eskalationsstufen gerecht werden als auch auf verschiedene Bereiche (oder «domains of war») ausgerichtet sein.
  • Irrtum 5: «Bei der Armee kann weiter verkleinert und gespart werden.»
    Fakt ist: Die Armee hat einen in der Verfassung geregelten Auftrag, welcher die Verteidigung des Landes umfasst. Weitere Abstriche können nicht gemacht werden, ohne die Verteidigungskompe­ tenz zu verlieren.
  • Irrtum 6: «Panzer und Flugzeuge sind von gestern.»
    Fakt ist: Auch im 21. Jahrhundert muss die Verteidigungskompetenzen weiterhin alle Grund­ funktionen einer Streitkraft umfassen. Dazu braucht die Schweizer Armee moderne Mittel zu Boden und in der Luft.
  • Irrtum 7: «Bei der Armee und bei teuren Beschaffungen muss das Volk mitreden.»
    Fakt ist: Beschaffungsfragen sind oftmals kom­ plizierter Natur, bedingen Sachverstand und eine objektive Haltung. Wichtige Beschaffungen dür­ fen nicht durch emotionale, ideologische und ar­ meefeindliche Vorstösse zu Fall gebracht wer­ den.
  • Irrtum 8: «Mit unserer Armee steht es immer noch zum Besten; die Experten in Bern entwickeln und verbessern sie laufend.»
    Fakt ist: Die Weiterentwicklung der Armee (WEA) droht, alte Fehler zu wiederholen und die Armee weiter von ihren Kernkompetenzen zu entfernen. Die Schweiz droht sich damit sicherheitspolitisch zu entblössen.
  • Irrtum 9: «Die WEA ist auf Kurs, wir müssen nur die Botschaft etwas volksnäher redigieren, dann ist alles in Butter.»
    Fakt ist: Die Weiterentwicklung der Armee (WEA) droht, alte Fehler zu wiederholen und die Armee weiter von ihren Kernkompetenzen zu entfernen. Die Schweiz droht sich damit sicherheitspolitisch zu entblössen.

Publikation des VSWW (Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft)
Kommentar:
Giardino hört sich – einmal mehr – selbst reden. Wir können viele der Punkte vorbehaltlos unterschreiben und danken und gratulieren bei dieser Gelegenheit den Herausgebern dieser Publikation.