Die Illusion der Friedensförderung
Die SP will nach Aussagen ihres Parteipräsidenten «mit einer Allianz der progressiven Kräfte» des Parlaments die Armee reformieren und dabei die Auslandseinsätze ausbauen. «Wir wollen 1500 Soldaten permanent ins Ausland schicken», sagte SP-Präsident Levrat kürzlich in einem Online-Interview. In der Diskussionssendung «Arena» des Schweizer Fernsehens doppelte er nach und nannte Kongo als wünschenswertes Einsatzgebiet schweizerischer Friedenstruppen.
von Beni Gafner, Basler Zeitung
Der SP-Präsident unterstreicht mit diesen Aussagen den ungenügenden Wissensstand und die fehlende Sachkenntnis, die manche Sicherheitspolitiker, oft auch bürgerlicher Herkunft, zurzeit im Bundeshaus kennzeichnen.
Nachfragen bei der SP ergeben, dass ihr Armeekonzept von 2008 unverändert Gültigkeit habe. Darin ist festgehalten, was SP-Präsident Levrat im Anschluss an das Gripen-Nein postulierte. Die SP fordert «einen deutlichen Ausbau der Einsätze der Schweizer Armee zur Friedensförderung». Sie predigt damit nichts anderes als den Fortschritt von gestern – wie wenn es keine Welt nach den verlorenen Kriegen in Afghanistan, Irak und Libyen gäbe; wie wenn es kein rasch erstarkendes Russland gäbe, das seinen Macht- und Einflussbereich mit allen erdenklichen Mitteln ausdehnen und zurückerobern will, auch mit Milliardeninvestitionen in die Armee.
Die Konzeption internationaler und «humanitärer Interventionen», wie sie SP-Präsident Levrat fordert, geht zurück auf die 1990er-Jahre. Sie stand damals unter dem nachhaltigem Eindruck des beendeten Kalten Krieges und ist überholt. Intellektuelle Kreise und viele Politiker waren optimistisch und schwelgten in der Hoffnung, die Welt bewege sich nun auf eine Art Idealzustand zu, den es mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung unter der Obhut von Nato, UNO oder der EU – am besten gleich mit allen Organisationen zusammen – zu beschleunigen gelte. Wo nötig, sollte dies mit Waffen geschehen, die in Hände von international verknüpften «Friedenssoldaten» gehören.
In der Schweiz war man vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass die Neutralität überholt ist und auf Dauer keine Überlebenschancen hat, auch wenn dies einer eher rückwärtsgewandten Mehrheit im Volk erst allmählich klar werden sollte. Gleichzeitig ortete man damals bei den anderen Staaten ein schlechtes Ansehen der Schweiz, dessen Ursache letztlich in der Neutralität verortet wurde. Verkürzt galt die Formel: Wer nicht der Nato beitritt, ist neutral.
von Beni Gafner, Basler Zeitung
Der SP-Präsident unterstreicht mit diesen Aussagen den ungenügenden Wissensstand und die fehlende Sachkenntnis, die manche Sicherheitspolitiker, oft auch bürgerlicher Herkunft, zurzeit im Bundeshaus kennzeichnen.
Nachfragen bei der SP ergeben, dass ihr Armeekonzept von 2008 unverändert Gültigkeit habe. Darin ist festgehalten, was SP-Präsident Levrat im Anschluss an das Gripen-Nein postulierte. Die SP fordert «einen deutlichen Ausbau der Einsätze der Schweizer Armee zur Friedensförderung». Sie predigt damit nichts anderes als den Fortschritt von gestern – wie wenn es keine Welt nach den verlorenen Kriegen in Afghanistan, Irak und Libyen gäbe; wie wenn es kein rasch erstarkendes Russland gäbe, das seinen Macht- und Einflussbereich mit allen erdenklichen Mitteln ausdehnen und zurückerobern will, auch mit Milliardeninvestitionen in die Armee.
Die Konzeption internationaler und «humanitärer Interventionen», wie sie SP-Präsident Levrat fordert, geht zurück auf die 1990er-Jahre. Sie stand damals unter dem nachhaltigem Eindruck des beendeten Kalten Krieges und ist überholt. Intellektuelle Kreise und viele Politiker waren optimistisch und schwelgten in der Hoffnung, die Welt bewege sich nun auf eine Art Idealzustand zu, den es mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung unter der Obhut von Nato, UNO oder der EU – am besten gleich mit allen Organisationen zusammen – zu beschleunigen gelte. Wo nötig, sollte dies mit Waffen geschehen, die in Hände von international verknüpften «Friedenssoldaten» gehören.
In der Schweiz war man vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass die Neutralität überholt ist und auf Dauer keine Überlebenschancen hat, auch wenn dies einer eher rückwärtsgewandten Mehrheit im Volk erst allmählich klar werden sollte. Gleichzeitig ortete man damals bei den anderen Staaten ein schlechtes Ansehen der Schweiz, dessen Ursache letztlich in der Neutralität verortet wurde. Verkürzt galt die Formel: Wer nicht der Nato beitritt, ist neutral.
Gleichzeitig gab man sich defätistisch: Die Schweiz sei von vornherein absolut chancenlos, um Bedrohungen (im ansonsten unwahrscheinlichen Eintretensfall) allein und selbstverantwortlich zu bewältigen. Man traute sich nicht zu, eine schwerwiegende Bedrohung der Sicherheit im Land mit eigenen Kräften und Mitteln zu bewältigen – eine Meinung, die sich bis heute im Bundeshaus auch unter Bürgerlichen hält. Unhinterfragt wurde vor bald zwanzig Jahren auch hierzulande die Vorstellung übernommen, das Böse lasse sich an den Rändern der Wohlstandszonen geografisch lokalisieren und im Verbund mit Gleichgesinnten ausmerzen – notfalls militärisch.
Während die Schweiz in Fragen der politischen Unabhängigkeit zunehmend selbstbewusster auftritt, namentlich in der EU-Frage, bleiben diesbezüglich vergleichbare Schritte in der Sicherheitspolitik aus. Das ist ein Fehler, der grundlegend ist. Es wäre deshalb an der Zeit, dass sich nicht nur SP-Verantwortliche, sondern auch bürgerliche Mehrheitspolitiker darüber Klarheit verschaffen, dass der dritte Auftrag an die Schweizer Armee überholt ist und einer dringenden Überprüfung bedarf. Unter dem Titel der «Friedensförderung im internationalen Rahmen» sind ihr in diesem dritten Auftrag Auslandseinsätze auferlegt.
In Anbetracht der gescheiterten Versuche gewalttätiger, globaler Friedenserzwingung in Afrika, Afghanistan, im Irak und anderswo müsste eine erste Lehre für eidgenössische Sicherheitspolitiker sein, dass es nichts genützt hat, das Wort Krieg durch das Wort Frieden zu ersetzen (Friedenssoldaten, Friedensmissionen, peace keeping). Diese Begriffe wurden geschaffen, um die Realität zu verniedlichen und zu vertuschen. Mit der Vermischung von «humanitärer Hilfe» und «militärischer, humanitärer Intervention», die es heute nicht mehr gibt, muss in Schweizer Amtsstuben und in Politikerköpfen aufgeräumt werden. Eine Beteiligung an kriegerischen Konflikten ist entweder Intervention und damit bewaffnete Parteinahme im Ausland oder unparteiische, freiwillige Solidarität in Form ziviler, humanitärer Hilfe. Klare Trennung verspricht Erfolg – die Schweiz muss sich entscheiden, was sie tun will.
In Anbetracht der gescheiterten Versuche gewalttätiger, globaler Friedenserzwingung in Afrika, Afghanistan, im Irak und anderswo müsste eine erste Lehre für eidgenössische Sicherheitspolitiker sein, dass es nichts genützt hat, das Wort Krieg durch das Wort Frieden zu ersetzen (Friedenssoldaten, Friedensmissionen, peace keeping). Diese Begriffe wurden geschaffen, um die Realität zu verniedlichen und zu vertuschen. Mit der Vermischung von «humanitärer Hilfe» und «militärischer, humanitärer Intervention», die es heute nicht mehr gibt, muss in Schweizer Amtsstuben und in Politikerköpfen aufgeräumt werden. Eine Beteiligung an kriegerischen Konflikten ist entweder Intervention und damit bewaffnete Parteinahme im Ausland oder unparteiische, freiwillige Solidarität in Form ziviler, humanitärer Hilfe. Klare Trennung verspricht Erfolg – die Schweiz muss sich entscheiden, was sie tun will.
Zu berücksichtigen ist bei der nötigen Neubeurteilung: Der Soldat, ausgebildet zum Kämpfen und Töten, der zum Sozialarbeiter in Uniform mutiert und erfolgreich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaftsnormen nach westlicher Vorstellung global verbreitet – dieser Soldat hat versagt. Er hat deshalb ausgedient. Schuld an dessen Versagen waren nicht die Soldaten selbst, sondern jene Weltpolitiker, die ihn mit Aufträgen ausstatteten, die er gar nie erfüllen konnte. «Nation Building» in unübersichtlicher Stammesstruktur in Verbindung mit Kriegen gegen Terroristen, Aufständische und Bürgerkriegsparteien überfordert jede Streitkraft, auch die Schweizer Armee. Es gilt sich an die Lehre der USA nach dem Vietnamkrieg zu erinnern: Man kann in fernen Einsatzgebieten alle Gefechte gewinnen, aber den Krieg trotzdem verlieren.
Soeben hat das Parlament den Einsatz der Schweizer Armee in Kosovo diskussionslos verlängert. Kluge Fragen, die aufgrund der mittlerweile 15-jährigen Balkan-Erfahrung der Schweiz nun endlich gestellt und beantwortet werden müssten, sie blieben aus. Welches ist das übergeordnete Ziel einer Auslandsmission, an der sich die Armee beteiligt? Welches ist der angestrebte Endzustand, und zwar in politischer, militärischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht? Nähert man sich diesen Zielen oder sind sie demnächst erreicht? Sind oder waren diese Ziele illusorisch? Was geschähe, wenn keine Schweizer Soldaten dort wären? Welches sind die Schweizer Interessen? Welches sind die (allenfalls versteckten) Interessen anderer Beteiligter?
Soeben hat das Parlament den Einsatz der Schweizer Armee in Kosovo diskussionslos verlängert. Kluge Fragen, die aufgrund der mittlerweile 15-jährigen Balkan-Erfahrung der Schweiz nun endlich gestellt und beantwortet werden müssten, sie blieben aus. Welches ist das übergeordnete Ziel einer Auslandsmission, an der sich die Armee beteiligt? Welches ist der angestrebte Endzustand, und zwar in politischer, militärischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht? Nähert man sich diesen Zielen oder sind sie demnächst erreicht? Sind oder waren diese Ziele illusorisch? Was geschähe, wenn keine Schweizer Soldaten dort wären? Welches sind die Schweizer Interessen? Welches sind die (allenfalls versteckten) Interessen anderer Beteiligter?