Dokument des Versagens: Armeebericht offenbart gravierendere Mängel als bisher bekannt

Dokument des Versagens: Armeebericht offenbart gravierendere Mängel als bisher bekannt

Wenn die Spitze des Verteidigungs­ departements (VBS) und der Chef der Armee, Korpskommandant André Blatt­ mann, etwas beherrschen, dann Tarnung und Täuschung. Ein eindrückliches Beispiel solcher Fähigkeiten lieferten Verteidigungsminister Maurer (SVP) und sein Chef der Armee, Blattmann, in der Montagssitzung der Sicherheitspolitischen Kommission (SIK) des Nationalrats: Die beiden beschworen vor den Parlamentariern die «nationale Sicherheit», die in Gefahr sei, würden weitere Details aus dem Übungsbericht «Stabilo Due» bekannt.
von Beni Gafner, BaZ vom 30.10.2013, Seite 1 und 5
Gegenüber der Kommission gaben Blattmann und Maurer zum eigentlichen Problem, nämlich zum Versagen der Armeeführung im simulierten Krisenfall vom September 2012 genau so viel zu, wie ihnen die «Zentralschweiz am Sonntag» am Vortag nachgewiesen hatte. Dafür unterstrichen die beiden positive Punkte, die der Bericht auch enthalte.
Das genügte und die unwissenden SIK-­Mitglieder gaben sich zufrieden. Treuherzig den Angaben Blattmanns folgend, verwies der St. Galler CVP­-Nationalrat Jakob Büchler nach der Sitzung vor laufenden TV­-Kameras auf «viele positive Punkte», die der Übungsbericht auch enthalte. Die Medien hätten diese bewusst weggelassen. Nur: wie geht bei­ des zusammen – die gemäss Maurer gefährdete «nationale Sicherheit» wegen Medienberichten und die vielen positiven Punkte? Als schlicht tatsachenwidrig entpuppt sich sodann die Auskunft, das Verteidigungsdepartement habe der SIK vor Monaten eine mündliche Information zu den Übungsresultaten angeboten, die SIK habe aber keinerlei Interesse gezeigt. «Das war nicht so», erklärt SIK-­Präsidentin Chantal Galladé (SP) auf Nachfrage. Vielmehr habe sie Maurer im Mai darüber informiert, dass das Thema traktandiert werde.
Weshalb Maurer und Blattmann tarnen und täuschen, macht die Lektüre des Übungsberichts klar. «Die Hoffnung, dass man auf den Erfahrungen der letzten ‹Stabilo›­-Übung von 2007 aufbauen könne, erwies sich als unrealistisch», heisst es dort. Ein Beweis, dass Maurer und Blattmann fünf Jahre lang bekannte Mängel nicht behoben haben.

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Das Versagen der obersten Armeefüh­rung anlässlich der grossen Übung «Stabilo Due» vom September 2012 ist gravierender als bis jetzt in den Medien berichtet. Dies zeigt eine BaZ-­Analyse des als «intern» klassifizierten Übungs­ berichts «Stabilo Due». Vor der Sicher­heitspolitischen Kommission (SIK) des Nationalrats erklärten Verteidigungs­minister Ueli Maurer und Armeechef André Blattmann am Montag, Teile des Berichts trügen die höchste Klassifizie­rungsstufe, nämlich «geheim». Gefähr­det sei aufgrund der Medienberichte gar die «nationale Sicherheit».
Der Bericht wird von Armeechef André Blattmann den zuständigen Stellen innerhalb der Armee sowie der Sicherheitspolitischen Kommission seit Januar dieses Jahres vorenthalten. Wollen sich Maurer und Blattmann da­ mit vorab selbst verteidigen? Die Lek­türe des Berichts, ein eigentliches Do­kument der Unterlassungen und der organisatorischen Versäumnisse, rückt ein Ja auf diese Frage in den Bereich des Möglichen. Klar wird jedenfalls, dass es der Chef der Armee, Blattmann, in den vergangenen fünf Jahren nicht geschafft hat, einen Führungsstab ein­zurichten, der während mehreren Ta­gen, Wochen oder gar Monaten einer Sicherheitskrise begegnen könnte. Es fehlen Berufsoffiziere, es fehlen die Milizoffiziere als Ablösung. Und man­che, die kamen, wären im Ernstfall gar nicht verfügbar.
So steht im Übungsbericht: «Die Personalausstattung der Stäbe erwies sich in der ausserordentlichen Lage als ein unterschätztes Risiko. Einerseits wurden die Berufskader durch die hohe Dichte der Aufgaben überlastet. Ander­seits würden Milizoffiziere, die aus der kantonalen oder der Bundesverwaltung in Armeestäbe eingeteilt sind, im wirk­lichen Bedarfsfall gar nicht zur Verfü­gung stehen. Sie würden in der Krise an ihrem Arbeitsplatz benötigt.» Mit ande­ren Worten gesagt, zählt Blattmann also auf Leute für die Galerie. Denn: «Einige Berufsoffiziere sind in ihrer Milizfunkti­on in anderen Stäben und Truppenkörpern an Schlüsselstellen eingesetzt.» Das System der Einteilung sei daher grundlegend zu überdenken.
Andernorts verweist der Übungsbericht auf die ungenügende Ausbildung von Stellvertretern aus der Miliz, die nicht ihren Aufgaben entsprechend geschult sind. Auf den obersten beiden Stufen, der operativen und der strategischen, zeige sich ein Manko an Ausbildung und Vorbereitung. Chaos herrschte sodann bei der Erreichbarkeit unter den Offizieren: «Der Problematik Telefon­ und E­Mail-­Verzeichnis wurde auf allen Stufen zu wenig Beachtung geschenkt, so wurde das bei Übungsbeginn dem Führungsstab zur Verfügung gestellte Verzeichnis weder verteilt noch aktualisiert.» Es geschah, was in der Armee meistens geschieht, man behalf sich auf den unteren Stufen selbst, damit es wenigstens dort klappt.
Nur wenig klappt, wenn Daten transferiert und Lagebilder in verschiedenen Stäben synchronisiert werden sollen. Die diversen «nicht kompatiblen Systeme» hätten die Kommunikation und damit die Stabsarbeit «erschwert und zum Teil verhindert», lautet eine weitere Feststellung. Bemängelt wird sodann ein «Wildwuchs von Begriffen und Abkürzungen», die unterschiedlich interpretiert würden.
Bei den Führungsreglementen müsse gelten «weniger ist mehr» und die Befehlsgebung sei zu kompliziert. Bedenklich: Was draussen passiert, erfahren die Kommandeure zu Bern möglicher­ weise nie. Es fehlt im Bereich Nachrichtenbeschaffung «weitgehend» ein Gesamtkonzept zum Einsatz der Mittel.