Dokument des Versagens: Armeebericht offenbart gravierendere Mängel als bisher bekannt
von Beni Gafner, BaZ vom 30.10.2013, Seite 1 und 5
Gegenüber der Kommission gaben Blattmann und Maurer zum eigentlichen Problem, nämlich zum Versagen der Armeeführung im simulierten Krisenfall vom September 2012 genau so viel zu, wie ihnen die «Zentralschweiz am Sonntag» am Vortag nachgewiesen hatte. Dafür unterstrichen die beiden positive Punkte, die der Bericht auch enthalte.
–––
Das Versagen der obersten Armeeführung anlässlich der grossen Übung «Stabilo Due» vom September 2012 ist gravierender als bis jetzt in den Medien berichtet. Dies zeigt eine BaZ-Analyse des als «intern» klassifizierten Übungs berichts «Stabilo Due». Vor der Sicherheitspolitischen Kommission (SIK) des Nationalrats erklärten Verteidigungsminister Ueli Maurer und Armeechef André Blattmann am Montag, Teile des Berichts trügen die höchste Klassifizierungsstufe, nämlich «geheim». Gefährdet sei aufgrund der Medienberichte gar die «nationale Sicherheit».
Der Bericht wird von Armeechef André Blattmann den zuständigen Stellen innerhalb der Armee sowie der Sicherheitspolitischen Kommission seit Januar dieses Jahres vorenthalten. Wollen sich Maurer und Blattmann da mit vorab selbst verteidigen? Die Lektüre des Berichts, ein eigentliches Dokument der Unterlassungen und der organisatorischen Versäumnisse, rückt ein Ja auf diese Frage in den Bereich des Möglichen. Klar wird jedenfalls, dass es der Chef der Armee, Blattmann, in den vergangenen fünf Jahren nicht geschafft hat, einen Führungsstab einzurichten, der während mehreren Tagen, Wochen oder gar Monaten einer Sicherheitskrise begegnen könnte. Es fehlen Berufsoffiziere, es fehlen die Milizoffiziere als Ablösung. Und manche, die kamen, wären im Ernstfall gar nicht verfügbar.
So steht im Übungsbericht: «Die Personalausstattung der Stäbe erwies sich in der ausserordentlichen Lage als ein unterschätztes Risiko. Einerseits wurden die Berufskader durch die hohe Dichte der Aufgaben überlastet. Anderseits würden Milizoffiziere, die aus der kantonalen oder der Bundesverwaltung in Armeestäbe eingeteilt sind, im wirklichen Bedarfsfall gar nicht zur Verfügung stehen. Sie würden in der Krise an ihrem Arbeitsplatz benötigt.» Mit anderen Worten gesagt, zählt Blattmann also auf Leute für die Galerie. Denn: «Einige Berufsoffiziere sind in ihrer Milizfunktion in anderen Stäben und Truppenkörpern an Schlüsselstellen eingesetzt.» Das System der Einteilung sei daher grundlegend zu überdenken.
Andernorts verweist der Übungsbericht auf die ungenügende Ausbildung von Stellvertretern aus der Miliz, die nicht ihren Aufgaben entsprechend geschult sind. Auf den obersten beiden Stufen, der operativen und der strategischen, zeige sich ein Manko an Ausbildung und Vorbereitung. Chaos herrschte sodann bei der Erreichbarkeit unter den Offizieren: «Der Problematik Telefon und EMail-Verzeichnis wurde auf allen Stufen zu wenig Beachtung geschenkt, so wurde das bei Übungsbeginn dem Führungsstab zur Verfügung gestellte Verzeichnis weder verteilt noch aktualisiert.» Es geschah, was in der Armee meistens geschieht, man behalf sich auf den unteren Stufen selbst, damit es wenigstens dort klappt.
Nur wenig klappt, wenn Daten transferiert und Lagebilder in verschiedenen Stäben synchronisiert werden sollen. Die diversen «nicht kompatiblen Systeme» hätten die Kommunikation und damit die Stabsarbeit «erschwert und zum Teil verhindert», lautet eine weitere Feststellung. Bemängelt wird sodann ein «Wildwuchs von Begriffen und Abkürzungen», die unterschiedlich interpretiert würden.
Bei den Führungsreglementen müsse gelten «weniger ist mehr» und die Befehlsgebung sei zu kompliziert. Bedenklich: Was draussen passiert, erfahren die Kommandeure zu Bern möglicher weise nie. Es fehlt im Bereich Nachrichtenbeschaffung «weitgehend» ein Gesamtkonzept zum Einsatz der Mittel.