Rückblick Wintersession 2010

Rückblick Wintersession 2010

Zwischen dem 29. November bis zum 17. Dezember 2010 fand die Wintersession der Eidgenössischen Räte statt. Auch wenn der Entwurf des Artikels schon erstellt wurde, konnte die Fertigstellung erst letztes Wochenende in Angriff genommen werden. Schauen wir also, was die Parlamentarier uns für das neue Jahr beschert haben.

Der Nebelspalter meldete im September 2010: Aufatmen - neues Sicherheitskonzept aufgetaucht.

Der Nebelspalter meldete im September 2010: Aufatmen – neues Sicherheitskonzept aufgetaucht.

Der Ständerat behandelte als Erstrat den Sicherheitspolitischen Bericht 2010 – der Nationalrat wird ihn vermutlich in der Frühjahressession behandeln. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates (SiK-S) bemerkte zum Bericht, dass er eine taugliche, teilweise sogar eine gute Basis für die weitere Arbeit von Bundesrat und Kantonen, von Parlament und Verwaltung darstelle. Die von der Kommission erkannten Stärken und Schwächen decken sich mit den Feststellungen, die auch offiziere.ch gemacht hatte. Gemäss SiK-S liegt der Hauptmangel des Berichts in der fehlenden Strategie bei der Zusammenarbeit der Schweiz mit anderen Staaten und internationalen Organisationen. Die Schweiz sollte höchstes Interesse an der europäischen Sicherheitsarchitektur haben, schliesslich befindet sie sich im Zentrum Westeuropas. Deshalb reicht es nicht, wenn der Bundesrat die Zusammenarbeit mit der UNO und der NATO betont, die europäische Sicherheitsarchitektur jedoch ignoriert und nicht definiert, ob und wie die Schweiz die europäische Sicherheitsarchitektur mitgestalten kann. Die SiK-S sieht die Neutralität der Schweiz in Aussen- und Sicherheitspolitik als unbestritten an. Doch weder ist die Neutralität ein statisches Gebilde, noch klammert sie die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und anderen Staaten aus. Die Kommission bemängelt, dass der Bericht keine neue Ausrichtung und keine Schwerpunkte vorgibt, sondern bloss die allgemeinen, momentan gültigen Entwicklungen beschreibt. Damit gibt der Bericht wenig Impulse für die zukünftige Gestaltung der Schweizer Sicherheitspolitik. Ausserdem kritisierte die SiK-S, dass die Konsequenzen der Verlagerung der Bedrohung weg von einem militärischen mechanisierten Angriff hin zur Verwundbarkeit einer modernen Kommunikationsgesellschaft zu wenig scharf und klar aufgezeigt wird. Die aufgeführten Gefahren und Risiken sind nicht nach ihrer Gefährlichkeit und Wahrscheinlichkeit priorisiert, weshalb die SiK-S in der Beratung gleich selber ihre eigene Priorisierung festlegte:

Die Schweiz zu verteidigen heisst in Zukunft, die Bevölkerung in erster Linie vor Gewaltakten zu schützen und im Falle von Katastrophen zu retten. Verteidigen heisst in zweiter Linie die verletzlichen Infrastrukturen unserer hochtechnisierten Gesellschaft zu schützen – namentlich die Informationstechnologie, die Elektrizitätsversorgung, die Verkehrswege und anderes mehr. Die Schweiz verteidigen heisst erst in dritter Linie, uns auf einen mechanisierten Angriff oder einen Luftangriff vorzubereiten. Auf diese Prioritäten ist die Sicherheitspolitik der Schweiz konsequent auszurichten, sowohl im Inland als auch in der Zusammenarbeit mit dem Ausland. — Ständerat Frick Bruno (CEg, SZ) für die SiK-S, Wintersession 2010, 15.12.2010.

Auch wenn die SiK-S die Forderung nach einem Sicherheitsverbund Schweiz unterstützt, bemängelte sie Bundesrat Ueli Maurer, dass im Sicherheitspolitischen Bericht 2010 keine Strukturen, Konsultations- und Koordinatsionsmechanismen aufgezeigt wurden. Die Kommission hielt fest, dass dieser Mangel auch von den angehörten kantonalen Vertretern vorgebracht wurde.
Am Rande der Debatte wurde auch der Armeebericht 2010 angeschnitten. Faktisch wurde der Armeebericht 2010 von der SiK-S an den Bundesrat zurückgewiesen. Sie erachtet die im Armeebericht 2010 festgelegten Eckwerte – 80’000 Armeeangehörige, 5 Millionen Diensttage und 4,4 Milliarden SFr jährliche Kosten – als politische Grössen, die nicht auf gründliche Berechnungen beruhen. Deshalb muss Bundesrat Maurer bis zum 1. April 2011 Varianten für Armeebestände von 60’000, 80’000, 100’000 und 120’000 Armeeangehörige prüfen und dabei Gliederung, Ausrüstung, Leistungsprofil, Priorisierung der Einsätze, Investitions- und die Betriebskosten bei vollständiger Ausrüstung darlegen. Gleichzeitig soll auch die Doktrin der Armee in ihren Kernpunkten sowie den Beitrag der Schweiz in die internationale Sicherheitsarchitektur dargelegt werden, um die grössten Mängel des Sicherheitspolitischen Berichts 2010 zu kompensieren.
GMTF, DURO IIIP 6x6In der Herbstsession unterbreitete der Bundesrat dem Ständerat das Rüstungsprogramm 2010 mit einer Zusatzbotschaft, welche eine zusätzliche Beschaffung von weiteren 70 Geschützten Mannschaftstransportfahrzeugen (GMTF, DURO IIIP 6×6) für 122 Millionen SFr vorsieht. Widerstand gegen das Rüstungsprogramm 2010 und gegen die Zusatzbotschaft des Bundesrates kam aus der Grünen Fraktion. Insbesondere Nationalrat Josef Lang (G, ZG) sprach sich gegen die Beschaffung des GMTF aus. Im Rüstungsprogramm 2008 wurde dessen Beschaffung primär mit Raumsicherungseinsätzen und mit subsidiären Einsätzen begründet. Gemäss Nationalrat Lang sei die Beschaffung der zusätzlichen GMTF unbegründet, da sie bei den Auslandseinsätzen nicht benötigt würden und die Raumsicherung im Sicherheitspolitischen Bericht 2010 gestrichen worden sei. Die Vorstellung, dass sich Soldaten in der Schweiz nicht mehr ohne Schutz bewegen könnten, sei absurd und entspringe der grundlegenden Idee der Raumsicherung, welche heute immer noch in der Armee herumgeistere.

Im Januar 2008 war in der “Neuen Zürcher Zeitung” im Zusammenhang mit der Grundlage, die zur Beschaffung dieser GMTF führen soll, Folgendes zu lesen: “In Anlehnung an Demonstrationen des Ausbildungszentrums des Heeres in Walenstadt haben nämlich Brigadekommandanten Übungen durchgeführt, die vielfach an Situationen im Irak und in Afghanistan erinnerten. Hierzulande handelt es sich aber nicht darum, gegen Aufständische und paramilitärische Organisationen zu kämpfen.” Genau das aber ist mit dem Begriff der “verdeckt agierenden Kräfte” in der aktuellen Zusatzbotschaft gemeint. Was für Fantasien damals herumgeisterten – […] das von damals ist aktuell -, konnten wir auch in der “Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift” nachlesen: “9/11 hat uns vor Augen geführt, dass das scheinbar Undenkbare möglich ist und Jugendgewalt macht auch vor zivilisierten Ländern nicht mehr halt.” Der Übergang von den New Yorker Twin Towers zu den Pariser Banlieues oder zu den Fussball-Hooligans ist derart direkt, dass es nicht einmal ein Satzzeichen dazwischen braucht.” — Nationalrat Josef Lang (G, ZG), Wintersession 2010, 02.12.2010.

Nationalrat Langs Aussage, dass der Begriff Raumsicherung aus dem Sicherheitspolitischen Bericht 2010 gestrichen wurde, stimmt zwar, die damit verbundenen Einsätze bestehen jedoch weiterhin – zukünftig werden alle Überwachungs-, Bewachungs-, Schutz- und Sicherungseinsätze zur subsidiären Existenzsicherung, alle militärischen Abwehrmassnahmen zur Verteidigung gezählt. Es ist nichts anderes als recht, dass ein Soldat in solchen Einsätzen sichere Transportmittel erwarten kann. In der Botschaft zum Rüstungsprogramm 2008 wurde ausserdem festgehalten, dass der GMTF die seit 1969 im Einsatz stehenden M113 ersetzen und einen besseren Schutz gegen Minen und unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen bieten soll. Schliesslich wurde im Nationalrat der Beschaffung der 70 zusätzlichen GMTF mit 133 gegen 35 Stimmen deutlich zugestimmt. Die Grünen haben die Zusatzbotschaft einstimmig, die SP knapp mehrheitlich abgelehnt. Über die Kompensation der Kosten aus der Zusatzbotschaft gab es aber trotzdem noch ein Seilziehen zwischen National- und Ständerat. Die SiK-S, welche ursprünglich die zusätzliche Beschaffung angestossen hatte, verlangte eine Soldaten haben ein Anrecht auf einen sicheren Transport (Bild: Martin Kappler)Kompensation der zusätzlichen Kosten bei der Beschaffung der Neuen Fahrzeuggeneration (N Fz Gen). Der Bundesrat hielt sich in seiner Zusatzbotschaft jedoch nicht an diese Kompensation und addierte die zusätzlichen Kosten für den GMTF auf das reguläre Rüstungsprogramm 2010. In der Wintersession wurde der Bundesrat von der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SiK-N) in seinem Vorgehen unterstützt und konnte sich schliesslich durchsetzen.
Einiges zu reden gab auch die vorgesehene Beschaffung von 1’000 neuen Personenwagen im Wert von 34 Millionen SFr, welche im Paket der N Fz Gen enthalten waren. Nationalrat Roland Borer (SVP, SO) kritisierte beispielsweise, dass ein Personenwagen weder ein Dual-Use- noch ein Rüstungsgut sei, sondern ein Konsumgut, was bis anhin nie im Rahmen eines Rüstungsprogramms beschafft worden sei. Mit der Aufführung dieses Postens im Rüstungsprogramm 2010 ist es Bundesrat Maurer gelungen – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – das Problem des unvorteilhaften Abrechnungsmodells zwischen den Departementen in den eidgenössischen Räten zu thematisieren. Insgesamt bewirtschaftet das Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) 6’000 Personenwagen, von denen rund 40 Prozent im Dauereinsatz und fest der Armee zugeteilt sind. Die restlichen 60 Prozent bilden einen Fahrzeugpool für das VBS und die übrigen Departemente. Mit der Beschaffung der 1’000 neuen Personenwagen sollten bis Ende 2013 1’500 der 6’000 Personenwagen ersetzt werden, welche seit über 10 Jahren in der Armee und in der Verwaltung im Einsatz stehen. Das Problem dabei: das VBS zahlt die Anschaffung der Personenwagen, bei der Benutzung der Fahrzeuge aus dem Pool durch andere Departemente erhält das VBS jedoch nur eine Kostengutschrift, mit der sich nichts kaufen lässt. Die SP, die Grünen und eine Mehrheit der SVP strichen schliesslich die 1’000 Personenwagen aus dem Rüstungsprogramm 2010 heraus. Gemäss Nationalrat Ulrich Schlüer (SVP, ZH) muss erst ein echtes Abrechnungssystem zwischen den Departementen eingerichtet werden und erst danach werden neue Fahrzeuge bewilligt.

Es wurde bemängelt, dass das keine Rüstungsgüter sind. Es ist in der Tat so, dass Fahrzeuge, Personenwagen, in der Vergangenheit im Ersatzinvestitionsbudget aufgeführt wurden, das durch den Bundesrat allein verabschiedet wird. Ich bin der Meinung, dass das im Sinne der Transparenz durchaus hier Platz hat, damit Sie auch wissen, was mit dem Geld passiert, und sich dazu äussern können. Daher ist diese Position im Rüstungsprogramm aufgeführt. — Bundesrat Ueli Maurer, Wintersession 2010, 02.12.2010.

Noch bei einem weiteren Posten im Rüstungsprogramm 2010 gab es zwischen National- und Ständerat Differenzen: beim Zusatzkredit (24 Millionen SFr) zur Beschaffung der Logistikausstattung für den Leichten Transport- und Schulungshelikopter (Log LTSH). Im Nationalrat sprachen sich die Grünen, die SP und eine Mehrheit der SVP gegen diesen Zusatzkredit aus. Den Nationalräten missfiel insbesondere die Überschreitung des ursprünglichen Budgets, welches im Rüstungsprogramm 2005 festgesetzt wurde. Bei der Differenzbereinigung blieb der Ständerat jedoch unnachgiebig, so dass der Zusatzkredit schliesslich doch noch bewilligt wurde. Das von den Räten beschlossene Rüstungsprogramm 2010 überschreitet damit den ursprünglichen Antrag des Bundesrates um 88 Millionen SFr und umfasst nun 617 Millionen SFr. Zusammenfassend wird nun folgendes beschafft:

  • Neue Fahrzeuggeneration (N Fz Gen) für 440 Millionen SFr (1526 Lastwagen, Anhänger und Lieferwagen sowie Radlader und Gabelstapler);
  • Jetpiloten–Ausbildungssystem PC-21 (JEPAS PC-21) für 31 Millionen SFr;
  • Logistikausstattung für den Leichten Transport- und Schulungshelikopter (Log LTSH) für 24 Millionen SFr;
  • 70 Geschützte Mannschaftstransportfahrzeuge (GMTF, DURO IIIP 6×6) für 122 Millionen SFr.

Illustration by KALGemäss SiK-N gibt es im VBS verschiedene sensible Systeme und Netzwerke, die gegenüber Cyberangriffen unzureichend geschützt sind. Ausserdem sind die zivilen Netzwerke des Bundes noch schlechter vor digitalen Angriffen geschützt, als diejenigen des VBS. Grund dafür ist eine fehlende einheitlichen Strategie des Schutzes der Netzwerke der Bundesverwaltung. Die SiK-N betrachtet diesen Zustand als unbefriedigend und hat deshalb am 29. Juni 2010 eine Motion “Massnahmen gegen Cyberwar” eingereicht, die den Bundesrat beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, welche wirksame passive und aktive Massnahmen zur Sicherung und Verteidigung von Datennetzwerken, welche für die Schweiz wichtig sind. Leider wird es auch in der Schweiz Mode reisserisch und mit wenig Fachverstand auf das Thema “Cyberwar” aufzuspringen (vgl.: Myriam Dunn Cavelty, “Warum der Cyberwar doch gefährlich ist“, Tagesanzeiger, 12.01.2011). Dies wird durch eine fehlende anerkannte Definition zum Begriff “Cyberwar” begünstigt. Da der Begriff das Wort Krieg enthält, impliziert er, dass es sich um eine Konfrontation eines Staates mit einem anderen Staat oder wenigstens mit einer organisierten Einheit in einem oder über ein Computernetzwerk handeln müsste. Damit fallen Attacken von Einzelpersonen oder mehreren nicht zum gezielten Angriff organisierten Einzelpersonen in einem Computernetzwerk nicht unter den Begriff “Cyberwar”. Weiter kann davon ausgegangen werden, dass das Niveau eines Cyberwars erst dann erreicht wird, wenn weit verbreiteter Schaden zugefügt wurde – blosse Unannehmlichkeiten wegen blockiereten Netzwerken fallen ebenfalls nicht unter den Cyberwar-Begriff. Ausserdem muss eine strategische Komponente mit dem Angriff verbunden sein. Beispielsweise der Einsatz von Stuxnet zur gezielten Störung der Urananreicherungsanlage in Natanz mit der übergeordneten Strategie zur Verzögerung bzw. Verhinderung des iranischen Atomprogramms. Besteht keine Verbindung zur Erreichung eines strategischen Ziels, dann handelt es sich eher um Cybercrime. Die Diskussion um die Definition von Cyberwar erinnert an eine ähnliche Diskussion über die Definition des Terrorismus und ob die Bekämpfung desselbigen eine polizeiliche oder militärische Aufgabe darstellt. Der Krieg gegen den Terror zeigt auf, welche Konsequenzen eine militärische Bekämpfung des Problems mit sich bringen kann. Es darf nicht sein, dass bei der Bekämpfung von Cyberattacken die gleichen Fehler wiederholt werden, deshalb ist es wichtig, dass der Begriff Cyberwar sehr restriktive definiert wird (vgl.: “Marching off to cyberwar“, The Economist, 04.12.2008).
Bradley E. ManningDie thematische Inkompetenz des Kommissionssprecher Nationalrat Ulrich Schlüer (SVP, ZH) wurde offensichtlich, da er nicht nur die verschiedenen Begriffe durcheinander würfelte, sondern als Beispiel eines Angriffs auf ein ziviles Netzwerks die Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen durch Wikileaks nannte. Das ist natürlich absoluter Humbug. Gemäss dem derzeitigen Wissensstand wird der US-amerikanischer IT-Spezialist und Angehöriger der US-Streitkräfte, Bradley E. Manning (siehe Bild rechts) verdächtigt, die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente aus dem Secret Internet Protocol Router Network (SIPRNet) kopiert und von seiner Arbeitsstelle hinausgeschmuggelt zu haben (vgl.: Kevin Poulsen und Kim Zetter, “U.S. Intelligence Analyst Arrested in Wikileaks Video Probe“, Wired, Threat Level, 06.06.2010). Bei SIPRNet handelt es sich um ein geschlossenes Sicherheitsnetzwerk des US-Verteidigungsdepartement und des US Departement of States. Trotzdem haben rund 2,5 Millionen US-Beamte und Soldaten Zugang zu SIPRNet – und hier liegt auch das grundlegende Problem, dass Leaks aus diesem Netzwerk nicht zu verhindern sind. Dieses Beispiel hat absolut nichts mit Cyberwar, Cyberattacke, Cybercrime usw. zu tun, sondern ist ein Problem der Datensicherheit, die durch eine einzelne, zugriffsberechtigte Person willentlich missachtet wurde. Als zweites Beispiel führt Nationalrat Schlüer die Cyberattacken auf das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) vom Oktober 2009 auf. Gemäss Nationalrat Schlüer seien die Dimension des Angriffs langsam abschätzbar, der Ursprung und die Motive dahinter jedoch noch nicht geklärt. Mal abgesehen davon, dass es erstaunt, dass die Abklärungen nach über einem Jahr noch keine detaillierteren Resultate liefern kann, fehlt damit auch automatisch die Grundlage zur Klassifizierung dieser Attacken. Da nach dem jetzigen Kenntnisstand in das Netzwerk des EDA eingedrungen und Daten kopiert wurden, scheint es sich eher um Spionage gehandelt zu haben.

Ich glaube, Herr Blattmann hat prinzipiell recht [, dass Cyberwar eine der grössten Bedrohungen Bedrohungen für die Schweiz darstellt]. Das Problem liegt eher in der Wortwahl. Wenn Herr Blattmann von Cyberwar spricht, meint er viel mehr als nur Cyberwar: So nennt er öfter den Angriff auf die Rechner des EDA Ende letzten Jahres als Beispiel für Cyberwar. Das war ein Spionagefall, kein kriegerischer Akt. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Experten der Meinung sind, der Begriff Cyberwar treffe nur zu, wenn sich das Land im Kriegszustand befinde. — Marc Henauer, Leiter der Melde- und Analysestelle Informationssicherheit (Melani) in Lorenz Honegger, “Hacker könnten auf Medikamente zugreifen“, Aargauer Zeitung, 18.11.2010.

Fairerweise muss gesagt werden, dass nicht nur Nationalrat Schlüer ein Problem mit den Begrifflichkeit hatte, sondern dass auch Nationalrat Geri Müller (G, AG) hilflos am Ziel vorbei argumentierte und Cyberware mit Datenschutz verwechselte. Schliesslich räumte Bundesrat Maurer recht kompetent diesen Begriffe-Wirrwar auf. Die Motion wurde mit 104 gegen 25 Stimmen (bei 51 abwesenden Parlamentariern) klar angenommen. Die anwesenden Grünen haben einstimmig, die SP mehrheitlich gegen die Motion gestimmt.
Switchen wir zur Cyberkriminalität: der Ständerat musste sich als Erstrat mit der Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens vom 23. November 2001 des Europarates über die Cyberkriminalität auseinandersetzen. Es ist die erste und bisher einzige internationale Konvention, die sich mit Computer- und Netzwerkkriminalität befasst. Das Übereinkommen gliedert sich in drei Teile: der erste Teil enthält materielle Strafbestimmungen zur Harmonisierung des Strafrechts zwischen den Staaten, der zweite Teil regelt das Strafverfahren mit Konzentration auf die Beweiserhebung und die Beweissicherung elektronischer Daten in der Strafuntersuchung, der dritte Teil behandelt die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen unter den Staaten um ein schnell und effizientes Zusammenwirken der Vertragsparteien untereinander zu erzielen. Durch das Übereinkommen wird Art. 143bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches verschärft, welcher neu nicht nur unbefugtes Eindringen in ein Datenverarbeitungssystem unter Strafe stellt, sondern auch das Zugänglichmachen von Programme, Passwörter oder andere Daten im Wissen, dass diese für das illegale Eindringen in ein Computersystem verwendet werden sollen. Dabei muss jedoch ein klarer Vorsatz zu einer spezifischen Tat vorhanden sein, was bedeutet, dass Sicherheitstests in eigenen Systemen, Tests im Auftrag des Berechtigten oder die Ausbildung von IT-Sicherheitsspezialisten nicht unter diesen Strafbestand fallen (vgl.: Aussagen von Claude Janiak (S, BL), für die Kommission, Wintersession 2010, 29.11.2010). Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarates über die Cyberkriminalität wurde im Ständerat einstimmig angenommen.
Zwei Zivildienstleistende bei der Arbeit im Hof des heilpädagogischen Zentrums in Köniz. (Bild: Keystone)Gleich mehrere parlamentarische Vorstösse drehten sich um den Zivildienst. Nationalrat Thomas Hurter (SVP, SH) wollte mit einer Parlamentarischen Initiative die Wiedereinführung einer angepassten Gewissensprüfung. Als Beispiel formulierte er die Idee einer “freiwilligen” Gewissensprüfung, welche beim “Bestehen” zu einem im Vergleich zum Militärdienst 1,5-mal so lange Zivildienst berechtigen würde. Wünsche jemand keine Gewissensprüfung, so würde die Dauer auf das 1,8-fache steigen. Hurters Parlamentarische Initiative wurde schliesslich mit 74 zu 84 Stimmen abgelehnt. Die Grünen und die SP haben die Initiative einstimmig, die CVP/EVP/glp und die FDP–Liberale Fraktion mehrheitlich abgelehnt. Nur SVP und BDP haben die Initiative einstimmig angenommen. Die zweite Parlamentarische Initiative der SiK-N strebte eine Revision des Zivildienstgesetzes an, um “die Schlupflöcher von Gesuchstellern, die keinen Gewissenskonflikt haben” zu stopfen. Eine mögliche Massnahme könnte darin liegen, dass ein Zivildienstgesuch nicht mehr jederzeit gestellt werden kann. Die Parlamentarische Initiative der SiK-N wurde vom Nationalrat mit 96 zu 63 Stimmen angenommen. Ausschlaggebend für die Annahme war die FDP–Liberale Fraktion, welche nun einstimmig der Parlamentarischen Initiative zugestimmt hatte. Ständerat Claude Hêche (S, JU) regt in einem Postulat an, dass der Zivildienst zukünftig nicht mehr an die Militärdienstpflicht gekoppelt ist, damit untauglich oder ausgemusterte Personen die Möglichkeit zur Zivildienstleistung hätten und dadurch keinen Wehrpflichtersatz mehr bezahlen müssten. Die Hürde für eine solche Öffnung des Zivildienstes ist jedoch hoch, denn dazu wäre eine Verfassungsänderung notwendig, wozu es keinen hinreichenden Anlass gibt. Deshalb war der Bundesrat gegen die Annahme des Postulates – der Ständerat nahm es mit 18 zu 9 Stimmen jedoch trotzdem an.

Fesselung bei Zwangsausschaffung. Viele halten diese Form der Fesselung für menschenunwürdig.

Fesselung bei Zwangsausschaffung. Viele halten diese Form der Fesselung für menschenunwürdig.

In der Wintersession wurden nicht nur armeerelevante Themen behandelt. In einer Interpellation fragte Nationalrat Antonio Hodgers (G, GE) den Bundesrat nach der Anzahl und den Kosten der Zwangsausschaffungen zwischen 2005-2009. Die Zahlen erstaunen: zwischen 2005-2009 wurden 18’638 Personen in ihr Heimatland oder in den für ihr Asylverfahren zuständigen Dublin-Staat zurückgeführt. Davon wurden 1’850 Personen aus Sicherheitsgründen bis in den Zielstaat polizeilich begleitet. Die durchschnittliche Haftdauer belief sich 2009 auf 32 Tage für die Vorbereitungshaft, 19 Tage für die Ausschaffungshaft und 106 Tage für die Durchsetzungshaft. Die Kosten einer einzelnen Zwangsausschaffung kann nicht beziffert werden, die gesamten Vollzugskosten 2009 betrugen jedoch 29,2 Millionen SFr. Ein bedeutender Kostenpunkt stellten die Ausgaben im Bereich der Zwangsmassnahmen dar. 2009 vergütete der Bund in diesem Bereich den Kantonen rund 16 Millionen SFr für die Hafttage von Personen aus dem Asylbereich. Ein weiterer bedeutender Anteil der Kosten (12,4 Millionen SFr) betreffen die Ausreisekosten (Flugkosten für Linien- und Sonderflüge sowie Reisegeld, Zentrumsleistungen der Flughäfen usw.). Die Flugkosten alleine beliefen sich in den letzten drei Jahren auf 9’470 Franken pro Person. Die hohen Kosten entstehen durch die Ausschaffungen mittels Sonderflügen. Deshalb erfolgen Weg- und Ausweisungen im Asyl- und Ausländerbereich in der Regel mit Linienflügen, sei dies auf freiwilligem Weg oder in Polizeibegleitung – in diesem Fall belaufen sich die durchschnittlichen Flugkosten nur auf 637 SFr.
Mit einer anderen Interpellation wollte Nationalrat André Reymond (SVP, GE) die Anzahl der Gesetze wissen, welche in den vergangenen fünf Jahren durch die EU beeinflusst wurden. Die Schweiz entschied sich bei den Beziehungen mit der EU bewusst für den bilateralen Weg, um ihre Souveränität zu wahren. Paradoxerweise büsste die Schweiz mit dem autonomen Nachvollzug an formeller Souveränität ein, welche durch fehlende Mitgliedschaft (und damit fehlendem Mitspracherecht) nicht durch materieller Souveränität kompensiert wurde (vgl.: “Souveränität von Staaten – ein Konzept im Wandel“, 18.05.2010). Gemäss Antwort des Bundesrates gehen neuere wissenschaftliche Studien (z. B. Emilie Kohler 2009, Influences du droit européen sur la législation suisse: analyse des années 2004 à 2007; Ali Arbia 2006, The Road not Taken – Europeanisation of Laws in Austria and Switzerland 1996-2005 – beide Studien sind nicht online) davon aus, dass zwischen 40-60 Prozent der neueren oder revidierten schweizerischen Bundesgesetze in unterschiedlichem Mass vom EU-Recht beeinflusst worden sind.
The eight Millennium Development GoalsIm Bereich der Entwicklungshilfe will die Schweiz ihr Budget ausbauen. Bereits 1970 forderte eine Resolution der UNO Generalversammlung, dass die Ausgaben der Industrienationen im Bereich der Entwicklungshilfe bis 1975 0,7% des Bruttonationaleinkommen betragen sollte. Dieses Ziel wurde nicht erreicht und im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele wurde noch einmal die Empfehlung ausgesprochen, dass zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele 0,7% des Bruttonationaleinkommen in die Entwicklungszusammenarbeit fliessen sollte. Diese Empfehlung erfüllten 2009 Schweden (1,12%), Norwegen (1,06%), Luxemburg (1,01 Prozent), Dänemark (0,88 Prozent), die Niederlanden (0,82 Prozent). Die Empfehlung nicht erfüllt, aber immer noch vor der Schweiz befinden sich Belgien (0,55%), Finnland (0,54%), Irland (0,54%), Grossbritannien (0,52%). Die Schweiz weisst 0,47% (2,5 Milliarden SFr oder 4,29% der Bundesausgaben) des Bruttonationaleinkommen der Entwicklungszusammenarbeit zu, was knapp unter dem Mittel der OECD-Staaten (0,48%) liegt (Quelle: “Statistiken: Internationale Zusammenarbeit der Schweiz” Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und Staatssekretariat für Wirtschaft, 13.07.2010). Das Parlament erteilte dem Bundesrat im Dezember 2008 den Auftrag eine Botschaft für einen Zusatzkredit der Entwicklungshilfe vorzulegen, um bis 2015 einen Anteil von 0,5% des Bruttonationaleinkommen zu erreichen. In der vom Bundesrat vorgelegten Botschaft empfiehlt er dem Parlament die Entwicklungshilfe für das Jahr 2011 und 2012 um 640 Millionen Franken zu erhöhen um schliesslich linear auf die angestrebten 0,5% zu kommen (für 2011 wird damit voraussichtlich 0,445%, 2012 0,468% erreicht). Damit wird jedoch der Ausgabenplafonds gemäss Vorgaben der Schuldenbremse für 2013 überschritten. Deshalb rät der Bundesrat für 2011 und 2012 nur rund 0,45% anzustreben (entspricht einem Zusatzkredit von 515 Millionen SFr) und erst in der nachfolgenden Legislatur zu entscheiden, ob das Ziel von 0,5% für 2015 wirklich festgelegt werden soll. Der Ständerat stimmte der Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe mit dem Ziel 2015 0,5% des Bruttonationalproduktes zu erreichen mit 26 zu 13 Stimmen zu. Ausserdem beschloss der Ständerat in einem weiteren Geschäft einstimmig die finanzielle Beteiligung der Schweiz in multilateralen Entwicklungsbanken um 166,6 Millionen SFr zu steigern und das nicht finanzwirksames Garantiekapital um 3,314 Milliarden SFr zu erhöhen (vgl.: “Botschaft über die Beteiligung der Schweiz an den Kapitalerhöhungen der multilateralen Entwicklungsbanken“, 08.09.2010).
Gedenkstein zum Canyoningunfall im SaxetbachEinige Geschäfte wurden bereits in vorhergehenden Sessionen behandelt und in der Wintersession abgeschlossen. Beispielsweise die Parlamentarische Initiative zur Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen, welche in der letzten Session vom Nationalrat deutlich angenommen wurde. Der Nationalrat wollte den Bundesrat verpflichtet vor dem Erlass einer Notverordnung die neu zu schaffende “Delegation für ausserordentliche Lagen” innert 48 Stunden zu konsultieren. Nach Ansicht des Ständerates kommt es damit zur Vermischung der Rollen zwischen Parlament und Bundesrat, weshalb nur eine Informationspflicht innerhalb 24h nach einem Beschluss festgelegt wurde. Dieser Regelung stimmte der Nationalrat schliesslich zu. Kein Gehör fand das Anliegen des Bundesrates Notverordnungen, welche die inneren oder äusseren Sicherheit basierend auf Art. 185 Abs. 3 BV betreffen, von einer 6 monatigen Befristung auf ein Jahr auszudehnen. Damit ist das Geschäft sowohl von National- wie auch Ständerat deutlich angenommen worden.
Noch eine andere parlamentarische Initiative fand in der Wintersession ihren erfolgreichen Abschluss: die Initiative für ein Rahmengesetz für kommerziell angebotene Risikoaktivitäten und das Bergführerwesen. Nach dem Canyoningunfall im Saxetbach am 27. Juli 1999 und dem Bungee-Jumping-Unfall in Stechelberg am 13. Mai 2000 wurde sie vom ehemaligen Nationalrat Jean-Michel Cina (CVP, VS) im Juni 2000 eingereicht – es handelt sich vermutlich um die älteste Vorlage, die im Parlament noch hängig war. Dre daraus entstandene Entwurf zum Bundesgesetz über das Bergführerwesen und Anbieten weiterer Risikoaktivitäten soll zu mehr Sicherheit bei gewerbsmässig angebotene Risikoaktivitäten im gebirgigen oder felsigen Gelände und in Bach- oder Flussgebieten, wo Absturz- bzw. Abrutschgefahr oder ein erhöhtes Risiko durch anschwellende Wassermassen, Stein- und Eisschlag bzw. Lawinen besteht und wenn zur Begehung besondere Kenntnisse oder besondere Sicherheitsvorkehren erforderlich sind. Dem Gesetz sind Bergführer; Schneesportlehrer ausserhalb des Verantwortungsbereichs von Betreibern von Skilift- und Seilbahnanlagen, Canyoning, River-Rafting und Wildwasserfahrten, Bungee-Jumping unterstellt, welche neu eine Bewilligung benötigen. Diese Bewilligung ist für Bergführer und Schneesportlehrer auf vier Jahre, bei den restlichen Aktivitäten auf zwei Jahre befristet und kann in einem vereinfachten Verfahren verlängert werden. Nach dem der Nationalrat in der Herbstsession dem Entwurf haarscharf mit 83 zu 82 Stimmen zugestimmt hatte, nahm der Ständerat den Entwurf am 08. Dezember 2010 deutlich mit 28 zu 1 Stimme an.
Wie in jeder Sessionen gibt es auch einige auf den ersten Blick skurrile Vorstösse bzw. Aussagen von Parlamentariern. Ein Beispiel hierfür ist eine Motion von Nationalrat Christophe Darbellay (CVP, VS) und eine ähnliche Motion von Thomas Hurter (SVP. SH). Anscheinend wurde an den offiziellen Empfängen im Schweizer Pavillon der Weltausstellung in Shanghai spanischer und italienischer Wein serviert. Das geht natürlich nicht und somit wurde die Motion Darbellay und Huerter angenommen, welche die Schweizer Botschaften, die diplomatischen Vertretungen der Schweiz, die Schweizer Missionen, die offiziellen Empfänge in der Schweiz und im Ausland sowie alle subventionierte Organisationen (zum Beispiel: Präsenz Schweiz, Schweiz Tourismus, Ausstellungen im Ausland, Switzerland Cheese Marketing, Agro-Marketing Suisse usw.) verpflichtet, ausschliesslich Schweizer Produkte zu offerieren.

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