Von der Verteidigungs- zur Interventionsarmee*

Von der Verteidigungs- zur Interventionsarmee*

* Von Alfred E. Zips, Oberstleutnant a. D. (Deutschland)
Ohne erkennbare Aufmerksamkeit der Bevölkerung hat Verteidigungsminister von Guttenberg einen fundamentalen (von der FDP seit vielen Jahren geforderten) Systembruch eingeleitet: Nach 54 Jahren wird die Wehrpflicht in Deutschland de facto zum 1.7.2011 abgeschafft. Gleichzeitig wird die Bundeswehr von derzeit 240 000 auf eine Personalstärke zwischen 155 000 (Vorschlag Guttenberg) und voraussichtlich etwa 180 00 reduziert. Die dazu notwendige Mehrheit im Bundestag ist sicher. Das in der Vergangenheit so oft beschworene unverbrüchliche Bekenntnis zur Wehrpflicht (vor allem durch die Union!) wird unter dem fadenscheinigen Vorwand notwendiger finanzieller Einsparungen dem politischen Kalkül (besser: Opportunismus!) geopfert. Neben dem Zwang zu Einsparungen – die Armee war von Anfang an stets unterfinanziert und erreichte zu keinem Zeitpunkt die Vorgaben des Bündnisses – wird als wichtiger Grund darauf hingewiesen, daß wir ja mittlerweile nur von Freunden umgeben, also keiner direkten Bedrohung wie bis 1990 ausgesetzt seien. Deshalb brauche man ebenso wie die anderen europäischen Staaten kein Massenheer mehr. Es sei nun die Zeit gekommen, für eine „Friedensdividende“, und Truppenstärken und Verteidigungshaushalt könnten nun drastisch reduziert werden. Noch hat von Guttenberg sein endgültiges Konzept für die neue Bundeswehrstruktur und die damit verbundenen neuen Einsatzstrategien nicht vorgelegt. Nachstehend einige Gedanken aus der Sicht des ehemaligen Berufsoffiziers, der außerordentlich gute Erfahrungen mit allen (!) wehrpflichtigen Jahrgängen der Bundeswehr gemacht hat.

  1. Nach Berechnungen von Experten würde die Beibehaltung der Wehrpflicht (auch unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeitsdefizite) ca. 2 Milliarden Euro pro Jahr kosten, also ca. 5 Prozent des derzeitigen Verteidigungshaushaltes. Zum Vergleich: Die mit Recht umstrittene Reduzierung der Mehrwertsteuer für Gastronomie kostet den Staat mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr.
  2. Die Wiederaufwuchsfähigkeit der Bundeswehr geht verloren. Ein Wiederaufbau der Streitkräfte – so General a.D. G. Schultze-Rhonhof – in nennenswertem Umfang würde etwa 10 (!) Jahre dauern. Wer garantiert uns, daß wir in dieser Zeit weder bedroht noch angegriffen werden? Alle großen Umbrüche des letzten Jahrhunderts ließen sich frühestens 2 Jahre vorher erkennen, einschließlich der beiden Weltkriege. Der amerikanische Verteidigungsminister Gates hat jüngst die Abschaffung der Wehrpflicht in den USA als einen schweren Fehler bezeichnet. Er sieht keine Chance, sie wieder einzuführen. In der Bundesrepublik darf man solches völlig ausschließen.
  3. Die USA, unsere sicherheitspolitisch unberechenbare Führungsmacht, kann sich zu jeder Zeit wieder irgendwo in der Welt einmischen und unseren Loyalitätsbeitrag verlangen, der von uns mit einer Freiwilligenarmee in Anbetracht der Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse wohl kaum abgelehnt werden dürfte. Zudem ist ein Ende der NATO (Ost-) Erweiterung nicht abzusehen. Wer will garantieren, daß sich damit nicht neue Risiken ergeben?
  4. Weitgehend unberücksichtigt blieb bisher die Frage der Nutzung bzw. des Verkaufs von Kasernen und Standortübungsplätzen, vor allem aber das Austrocknen unserer auf höchstem Stand befindlichen wehrtechnischen Industrie (Kampfpanzer, U-Boote usw.), was nicht ohne Folgen für die Wirtschaft bleiben kann.
  5. Es gibt berechtigte Zweifel, ob sich in dem neuen, freiwilligen System genügend qualifizierte junge Männer für den Dienst in den Streitkräften entscheiden werden. Es ist vielmehr zu befürchten, daß sich für den „Job Bundeswehr“ vor allem die entscheiden werden, die sonst nur geringe oder keine Chancen haben! (Die soziale Struktur der US- Armee ist ein eher abschreckendes Beispiel). Seit Beginn der Aufstellung der Bundeswehr rekrutierten sich mindestens 50% der längerdienenden Zeit- und Berufssoldaten aus jeweiligen wehrpflichtigen Jahrgängen. Sie wurden gezielt angesprochen und nach Eignung und Leistung ausgewählt. Dabei lag das Hauptaugenmerk stets auf der Ausbildung bzw. Qualifikation zum Unteroffizier oder Offizier. Diese „handverlesenen“ Längerdiener waren in der Regel auch deutlich besser als diejenigen, die über die Freiwilligenannahmestellen geworben wurden. Eine Tatsache, die die genannten Zweifel erheblich verstärkt
  6. Sicherheit wird eine bezahlte Dienstleistung ohne gesellschaftliches Prestige. Die Bezahlung ist zwar nicht schlecht, wird aber mit Blick auf zu erwartende zukünftige Konflikte immer weniger dem zunehmenden Lebensrisiko entsprechen. Das wird sich vermutlich auf die Dauer eher sehr negativ auf den Nachwuchs auswirken.
  7. Es ist zu befürchten, daß die „neue“ Bundeswehr noch weniger als bisher in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird; das „freundliche Desinteresse“ (so Ex-Präsident Köhler) wird zunehmen. Auf Sicht wird die Bundeswehr noch stärker als bisher vom „Staatsvolk“ entfremdet und kann damit eines Tages auch leichter gegen das eigene Volk eingesetzt werden!
  8. Letztlich besteht die Gefahr, daß sich die Bundeswehr, vorwiegend rekrutiert aus dem Prekariat, zu einer „Söldnerarmee“ entwickelt, einsetzbar in jedem Krisengebiet der Welt. Ist das gar politisch gewollt?
  9. Mit Blick auf die katastrophale demografische Entwicklung unsers Volkes im Vergleich zu den Perspektiven des „Youth Bulge“ (Jugendüberschuß z.B. in den muslimischen Ländern) schicken wir das einzige Kind einer deutschen Mutter nach Afghanistan, wo eine Frau im Schnitt sieben Kinder hat, ein unerschöpfliches Reservoir für den Krieg (der auch aus diesem Grund nicht gewonnen werden kann.) Das muß nicht weiter erklärt werden!

Zusammenfassend kann aus meiner Sicht von den Absichten der Bundesregierung, die Bundeswehr, unter gleichzeitiger Aufgabe der Wehrpflicht, drastisch zu reduzieren und neu zu strukturieren folgendes gesagt werden: Die bisher diskutierten Modelle zur Struktur und Ausstattung der Bundeswehr haben eines gemeinsam: Die Fähigkeit zur kollektiven Landesverteidigung im Rahmen der NATO wird aufgegeben, die verbleibenden 150 (!) Kampfpanzer haben nur noch symbolischen Wert. Die Geschichte lehrt, daß eine kleine Armee nie Sicherheit gewährleistet. Die Bundeswehr der Zukunft ist nur noch bedingt, wenn überhaupt, zur Verteidigung des Landes fähig. Bekommen wir also eine reine Interventionsarmee, ohne den unverzichtbaren Rückhalt in Staat und Gesellschaft? Eine Armee, die sich nicht voll und ganz – geistig, seelisch, physisch – mit ihrem Auftrag identifizieren kann und nicht in jeder Hinsicht von Politik und Volk gestützt und getragen wird, taugt nichts. Weder Offiziere noch Soldaten haben die Eigenschaft von Zugtieren, die man gestern vor eine Kanone, heute vor einen Karren und morgen vor einen Leichenwagen spannen kann. Die Frage, die sich mir stellt, lautet: Welche Aufträge wird die – neue – Bundeswehr der Zukunft erhalten? Werden diese vorrangig unseren nationalen Interessen dienen und wie werden die definiert? Ob die Politik dazu bereit sein wird, darf nach den Erfahrungen der Vergangenheit bezweifelt werden. Quo vadis, Bundeswehr?

31. Januar 2011

 

Kommentare: 3

  1. herbert staub sagt:

    Ist der Abbau der westlichen Armeen ein Teil des grossen Spiels? Indessen Andere ganz offen sagen, dass sie die Welt regieren wollen!
    Nach dem Brand schliesst man gerne wieder eine Risikoversicherung ab, falls dan die Hütte noch steht.

  2. Zemp Franz sagt:

    Die gegenwärtige Entwicklung spez. unserer westlichen Armeen muss jeder vernünftigen Person sehr zu denken geben. Es bleibt zu befürchten, dass diese Schäden kaum mehr gutzumachen sind. Die kommende Generation wird die Rechnung zu begleichen haben.
    Nach wie vor stellt sich für mich die Frage, wer schlussendlich dahinter steht?
    Mit freundlichen Grüssen
    F. Zemp

  3. Dennis Wahl sagt:

    Eine Verteidigungsarmee ist aber auch nicht nötig und in Zeiten der Nato völlig überholt. Man muss den übrig gebliebenen Soldaten natürlich einen Zweck geben an dem sie sich festhalten und messen lassen können aber der sollte weniger in nationalen Interessen liegen (das 20gste Jhr hat mir den Wunsch nach so was jedenfalls ausgetrieben) sondern in denen der EU bwz. viel mehr im Dienst derer Ideale.

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