Regelmässiges Führungsversagen

Regelmässiges Führungsversagen

Die Nachricht über die für 2016 ge­ plante Abschaffung der Patrouille Suisse kam über­ raschend. Zuerst für Mitglieder der Sicherheitspoliti­schen Kommission des Nationalrats, die sich der Brisanz dieser bundesrätlichen Antwort auf eine Frage aus der Kommission wäh­rend der Sitzung offensichtlich nicht bewusst waren. Dann auch für die Bevölkerung. Überrascht über die Dreiviertelmehrheit an ablehnenden Reaktionen in der Bevölkerung war tags darauf auch Bundespräsident Ueli Maurer, der zuvor zusammen mit dem Chef der Armee, André Blattmann, den Abschaffungsbeschluss im stillen Käm­merlein gefasst hatte. Unplanmässig musste er in Radio und Fernsehen seinen Entscheid begründen – er ver­schlimmerte die Situation damit nur.
mit freundlicher Genehmigung von Beni Gafner, BaZ Redaktor
So absonderlich, unbesonnen und – vom Zeitpunkt her – abenteuerlich Maurers Bekanntgabe seines Groun­ding­Plans auch ist, so nahtlos reiht sie sich in die unstete und oft leidvolle Geschichte der schweizerischen Militärluftfahrt ein. Mit Blick auf diese Geschichte fallen zwei Dinge auf: Es war immer die oberste Führung, die in entscheidenden Momenten die Lage falsch einschätzte. Und: Es waren immer sachkundige und engagierte Menschen aus dem Volk (der Miliz), denen zu verhindern gelang, dass sich die Schweiz gegenüber dem Ausland der Lächerlicheit preisgeben und letztlich ihre Unabhängigkeit zur Disposition stellen musste. Insofern müssten sich Maurer und Blattmann eigentlich über den Sturm der Ent­rüstung freuen, der dieser Tage ob ihres Plans zur Abschaffung der Kunstflug­ staffel ausbrach.
1911, der Streit über die Frage «leichter oder schwerer als Luft» war erst zehn Jahre alt, waren es zivile Fliegerkreise, die die Generalität dazu drängten, bei Manövern erstmals ein Flugzeug zu Beobachtungszwecken einzusetzen. Den Wert dieses Dufaux­Aeroplans erkannten die hohen Offiziere der Armeeführung zwar, doch in der Heeresleitung war man nicht bereit, Geld für Flugzeuge zu sprechen. Sie wollte – wenn schon – Krieg im her­ kömmlichen Sinn führen, also in Kolon­nenlinie. Wieder waren es Private, die der Generalität zu Bern auf die Sprünge helfen mussten. Sie brachten die Schweizerische Offiziersgesellschaft dazu, einen Spendenaufruf zu erlassen. Die freiwillige Nationalspende für die Schaffung einer «militärischen Luft­flotte zum Schutze des Vaterlandes» brachte in kurzer Zeit die für damalige Verhältnisse immense Summe von mehr als 1,7 Millionen Franken ein. Der Grundstein zur Schaffung einer schwei­zerischen Militäraviatik war gelegt.
Das Berner Führungsversagen zog sich weiter von den Anfängen des letzten Krieges (als man mehrere Kompanien wieder heimschicken musste, weil das Material fehlte) über die Umstellung von Propellerflugzeugen auf Jets in den Fünfzigern (als die Armeeführung aus Kostengründen die Stilllegung
der Fliegertruppen erwog) bis heute, da das Duo Maurer/Blattmann die Patrouille Suisse als Identifikations­merkmal und Symbol für Abhaltung abschaffen will.
Auch die Diskussion über die Zukunft der Patrouille Suisse ist von Fehlschlüs­sen geprägt. Kritikern der Patrouille Suisse ist entgegenzuhalten, dass eine Abschaffung der Kunstflugstaffel sinn­vollerweise nur Resultat einer Lage­analyse sein könnte. Diese fehlt. Der Stilllegungsentscheid scheint entweder einer Laune von Wehrminister und Armeechef oder vermeintlichen Sach­zwängen zu entspringen. Beides aber wäre falsch. Wer, wenn nicht die Schweiz, kann sich moderne und taug­liche Kampfflugzeuge samt Patrouille Suisse leisten und so – in Ergänzung zu den anderen Räumen, in denen Bedro­hungen vorhanden sind (am Boden und im Cyberspace) – auch in der Luft glaubwürdige Dissuasion leben?
Die Konstruktion von Parallelen zwi­schen Maurers Abschaffungsbeschluss und der Diskussion von 1972, als das Parlament trotz 432 430 Petitionsunter­schriften die Aufhebung der Kavallerie beschloss, halten einer vertieften Prü­fung nicht stand. Damals war seit 1939 klar, dass Reiter im Kampf gegen Pan­zer chancenlos sind. Das heutige Paral­lelargument, die Zukunft in der Luft gehöre ausschliesslich Drohnen, ist deshalb keines, weil es noch gar keine unbemannten Flugzeuge für den Luftkampf gibt.
Bis es so weit ist, dürfte es noch min­destens eine Generation dauern. Die Frage ist deshalb, ob die Vernunft in der Armeeführung nun aus eigener Erkenntnis Einzug hält, ob es dazu das Parlament braucht oder ob es wie­ derum korrigierender Einflussnahme aus Kreisen der Bevölkerung bedarf. Das Angebot von Pilot und Unternehmer Thédy Schneider (Breitling), dem Land die eigene Kunstflugstaffel zur Verfügung zu stellen, ist Zeichen für die nach wie vor vorhandene Bereitschaft im Volk dazu.