Das Réduit: Entstehung des Konzeptes, Bestätigung der Wirksamkeit

Das Réduit: Entstehung des Konzeptes, Bestätigung der Wirksamkeit

In diesen Tagen wird landesweit General Guisans und seines Réduits gedacht. Die Fragen stellen sich, wie dieses Verteidigungskonzept entstand und ob es richtig war.
Wenige Wochen vor dem deutschen Angriff auf Frankreich schickte General Guisan eine Delegation von 4 welschen Offizieren zur französischen Armee, darunter die Obersten Gonard und Montfort. Wie allgemein bekannt, hatte Guisan mit Frankreich die Details einer Zusammenarbeit für den Fall eines deutschen Angriffes vereinbart und voraus-schauend auf dem Gempen bei Basel sogar Stellungen für die französische Artillerie bauen lassen. (Auch mit der deutschen Wehrmacht hatte Guisan einen Vertrag für den umgekehrten Fall vorbereiten lassen und einen Verbindungsoffizier zur Wehrmacht bestimmt, aber ohne sich mit Deutschland abzusprechen). Die Offiziersdelegation sollte sich ein Bild der französischen Armee machen. Zutiefst schockiert über die bis zum obersten Befehlshaber völlig zerrüttete Moral der französischen Armee kam die Delega-tion zurück. Oberst Gonard meinte, die Schweiz dürfe nicht mit Frankreich rechnen, sondern müsse sich alleine verteidigen, am besten im Gebirge.
Als dem Kommandanten der Linthstellung, dem Obersten Hans Frick, ein Gebirgsregiment entzogen wurde, um die Schweizer Stellungen gegen die bereits in Frankreich stehenden Wehrmacht zu verstärken, schrieb er seinem Vorgesetzten, dem Korpskommandanten Labhardt, am 18.Juni 1940, er könne seine 32 km lange Front mit nur noch 9 Bataillonen nicht mehr verteidigen. Er schrieb u.a: „….sind wir von allen Seiten durch die Achsentruppen eingeschlossen. Wenn wir gegen weitgehende Forderungen noch etwas in die Waagschale werfen können, ist es die Armee und nur die Armee. …. Diese Haltung [eines Volkes, das bereit sei, jedes nötige Opfer für seine Freiheit zu erbringen] können wir aber nur einnehmen, wenn wir die Armee in einer Stellung konzentrieren, die ihren Kräften angemessen ist und in der wir Widerstand leisten können, ohne in kürzester Zeit durchbrochen zu werden. Ohne irgendwie in Einzelheiten zu gehen, denke ich mir diese Stellung in Anlehnung an den Gotthard… In dieser Stellung müsste die ganze Armee…. eingesetzt werden. … Wenn sie aber in einer „weitgelegten Aufstellung rund um die Schweiz herum verbleibt“, würden viele Truppen nutzlos geopfert und es sei mit einem raschen Durchbruch und darauf folgendem Zusammenbruch zu rechnen.
Korpskommandant Labhard übernahm diese Sicht sofort und unterbreitete sie General Guisan an einer Konferenz der obersten militärischen Führung schon zwei Tage später, am 20. Juni 1940. Es ging noch einige Zeit, bis sich Guisan konsequent fürs Réduit entschied. Aber er beschloss, sofort 4 Divisionen in die Alpen zu verlegen, wo schon 3 Gebirgsbrigaden in Stellung waren und deren Zugänge durch die Festungen St. Maurice, Gotthard und Sargans gesperrt wurden. Die Deutschen bemerkten diese Verschiebung erst viele Monate später. Rund die Hälfte der Armee war bereits im Gebirge in Sicherheit. Laut Angriffsplanung TANNENBAUM vom Sommer 1940 zielte deshalb die Absicht, im Mittelland die sich „dem deutschen Einmarsch entgegenstellenden eidgenössischen Truppen zu zerschlagen“ teilweise ins Leere. Zudem wurde bedauernd festgestellt, ein sehr erwünschter Angriff ab Bodensee das Rheintal aufwärts komme wegen der Festungen Rheineck und Sargans und dem gebirgigen Gelände überhaupt nicht in Frage.
Viele Kritiker, besonders die Armeeabschaffer, behaupten, der General habe kaltblütig das Volk im Mittelland preisgegeben. Das Gegenteil stimmt. Wäre die Armee im Mittelland geblieben, so hätte sie angesichts der grossen deutschen Panzerverbände und Luftwaffe kaum sehr lange durchhalten können. Nach einer Niederlage wäre das Schweizer Volk , das Verkehrswesen und die Wirtschaft genau so brutal in den Dienst Deutschlands gestellt worden, wie alle anderen besiegten Völker.
Aber können wir wissen, ob das Réduit den deutschen Angriff verhindert hat? Die Antwort finden wir in den zahlreichen deutschen Angriffsplänen. Schon 1940 wurde darauf hingewiesen, es müsse unbedingt verhindert werden, dass sich die Schweizer Armee bei einem deutschen Angriff ins Gebirge zurückziehen könne, da sie dort monatelang Wider-stand leisten könne.
In der Angriffsplanung TANNENBAUM 1940 standen die Nordost-Südwestverbindungen im Vordergrund, d.h. die Schweizer Eisenbahnen über Genf nach Frankreich. Warum? Was im deutschen Siegesgetöse 1940 unterging und von Deutschland aus verständlichen Gründen auch nicht weiter verbreitet wurde und heute kaum bekannt ist, ist die klägliche Niederlage der Achsenmächte im Kampf gegen die französischen Truppen in den Südalpen. Am 10. Mai 1940 griff Italien mit weit überlegenen Kräften aus der Po-Ebene an. Die Franzosen sprengten sofort alle Strassen, Brücken und Tunnel und kämpften verbissen. Die Italiener blieben gleich stecken. Als die Deutsche Wehrmacht Südfrank-reich erreicht hatte, befahl ihr Hitler, die französischen Truppen in den Alpen im Rücken, aus dem Raum Lyon heraus anzugreifen und sich mit der Italienischen Armee in den Alpen zu vereinigen. Die Franzosen hatten alle Brücken über die Isère gesprengt und kämpften auch hier mit vollem Einsatz. Die Wehrmacht blieb kläglich stecken. Da die deutschen Planer noch nicht wussten, ob die dortige französischen Truppen die Kapitulation Frankreichs annehmen oder weiterkämpfen würden, wollte Deutschland mit der Besetzung der Schweiz vordringlich die über Genf führenden Schweizer Eisenbahnen für die vorgesehenen Truppentransporte nach Südfrankreich in Besitz nehmen.
Inzwischen hatte die Schweiz begonnen, das Réduit aufzubauen, die Industrie und besonders das gesamt Verkehrsnetz zur Zerstörung vorbereitet. Gleichzeitig wurden für Deutschland wegen seines von ihm wirtschaftlich und militärisch abhängigen Verbündeten Italien die Alpentransversalen von überragender Wichtigkeit.
Das Réduit wurde als Ausdruck des Schweizer Widerstandswillens gesehen. In einer Angriffssplanung stand: „Die sichtbare Folge [des Schweizer Widerstandswillen, der Verf.] ist das Réduit: Lieber kämpfen, als sich zur Gänze in die Belange des neuen Europas einfügen.“
Zum Hauptzweck eines deutschen Angriffes sagte der planende General: „Vielmehr geht es gerade um den Besitz der wichtigen Nord-Südverbindungen [Gotthard, Lötschberg-Simplon, der Verf.] Erst ihr uneingeschränkter Besitz …samt ihren Stromanlieferungen, bedeutet einen klaren militärischen Sieg über die Schweiz“. Dann die Schlussfolgerung: „Die Bezwingung der sich erbittert verteidigenden Truppen im Hoachalpenreduit wird eine schwer zu lösende Aufgabe darstellen“. Mit anderen Worten: Das Réduit hat den Krieg von der Schweiz ferngehalten.
Gotthard Frick, Bottmingen

 

Kommentare: 6

  1. Willy Stucky sagt:

    Herzlichen Dank, Herr Frick!
    Es ist ausserordentlich wichtig, immer wieder zu betonen, dass die französische Armee als Ganze nicht besiegt worden ist. Vielleicht hätten Sie die Güte, Herr Frick, uns mal zu erklären, wie es zum schmachvollen Waffenstillstand von Rethondes (Compiègne) gekommen ist. Zwar habe ich angeheiratete Verwandte in Frankreich, die zu alteingesessenen Offiziersfamilien gehören, doch von diesen war natürlich nie etwas zu erfahren, denn ihre Vorfahren gehörten zu denen, die de Gaulle in absentia zum Tode verurteilt hatten.
    Es ist schon eigenartig, dass linke Historiker „unser“ Réduit lächerlich machen dürfen, während sie über Geschehnisse in den französischen Alpen, welche ohne den besagten Waffenstillstand die Weltgeschichte verändert hätten, einfach schweigen dürfen.

  2. Franz Betschon sagt:

    A Propos „Linke Historiker“: Jakob Tanner, bis vor kurzem Aushängeschild der Historiker der Universität Zürich begründet das Reduit ungefähr folgendermassen: Zweck war es, möglichst viele industrielle Kräfte freizuspielen, um die Achsenmächte zu unterstützen. Derselbe Tanner hat sich auch in der Bergierkommission hervorgetan, eine Kommission deren „Arbeiten“ nie richtig aufgearbeitet wurden.
    Naheliegenderweise bestand das Reduit einfach aus Stellungen, die die Fronten verkürzten. Ein enormer Vorteil, konnte man doch nur so der Bundesverfassung einigermassen gerecht werden, denn „ab Landesgrenze“ war auch damals schon illusorisch. Das dürften die deutschen Generalstäbe auch so gesehen haben.

  3. Ich denke v.a. an die fehlende Panzerabwehr und die fehlenden Panzer (und wie sieht es wohl heute aus?), auch die Luftwaffen war natürlich nicht vergleichbar. Die Anfangserfolge bei den ersten Begegnungen von schweizerischen und deutschen Flugzeugen, lagen v.a. in der falschen Taktik der Me 110 der Deutschen. (ich sehe es sogar so, dass die Deutschen es nie fertiggebracht haben dieses Flugzeug angemessen einzusetzen , im Gegensatz zu den taktisch ähnlich gelagerten Problemen mit den F-4, P-40 und P-38, der Amerikaner gegen die Japaner). Ausserdem „Front verkürzen“ ist jetzt nicht etwas was wirklich so weit weg liegt. Da wäre sogar ich noch drauf gekommen, aber offensichtlich viele Kritiker von Guisan nicht. Also auch der erste oberflächliche Blick scheint darauf hinzudeuten, dass Guisan (oder wohl eher sein Stab) es richtig gemacht haben. Ein genaueres Studium wird dies auch zeigen, aber wenn natürlich die „Sozialhistoriker“ sich plötzlich mit Militärgeschichte beschäftigen so kommen seltsame Ergüsse dabei raus. Ist nicht sogar jemand im Moment mit einer Berufung per vaginam an der Uni Zürich tätig, die behauptet hat, es gäbe kein PTSD (Post Traumatic Stress Depression) vor dem Vietnamkrieg?

  4. Gotthard Frick sagt:

    Bottmingen, 3.08.2015
    Ich verreise morgen früh für 4 Wochen auf eine griechische Insel, und kann nicht auf den Wunsch von Herrn Stucky eingehen.
    Dazu nur soviel: Während meines Studiums in der ersten Hälfte der 50-er Jahre an Sciences Po in Paris hatte ich einen Studienfreund, dessen Vater als General im Krieg gefallen war. Er widersprach mir immer, wenn ich die Niederlage auf die Demoralisierung der französischen Armee zurückführte und nicht auf eine nicht bestehende erdrückende deutsche Übermacht. Aber eines Tages kam er zerknirscht und brachte mir 3 Bände eines Magazins, in dem die Gründe der französischen Niederlage sorgfältig recheriert dargestellt wurden.
    Zur Erinnerung und weil es eine beispielhafte Episode europäischer Geschichte ist, wiederhole ich mich: Griechenland war neben Grossbritannien das einzige westliche Land, dass moralisch nicht schon vor dem deutschen Angriff erledigt war. Als am 28. Oktober um 0300 frühmorgens Italien ein Ultimatum unterbreitete, bei dessen Ablehnung Krieg sei, antwortete der soeben geweckte Premierminister Metaxas: DANN IST ALSO KRIEG. Und an Massenkundgebungen im ganzen Land skandierten die Griechen noch am gleichen Tag „OCHI; OCHI; OCHI“, „NEIN, NEIN, NEIN“ zur Unterwerfung. Darum ist der 28. Oktober heute als „NEIN-Gedenktag“ griechischer Nationalfeiertag. Dann kämpfte das bitterarme Griechenland 6 Monate lange gegen die Achsenmächte, was zu einer derartigen Verzögerung des deutschen Angriffes auf die Sowjetunion führte, dass die Wehrmacht im russischen Winter ihre erste katastrophale Niederlage erlitt.
    Und was sagte Churchill dazu: „VON HEUTE AN WERDEN WIR NICHT MEHR SAGEN, DASS DIE GRIECHEN WIE HELDEN KÄMPFEN, SONDERN DASS HELDEN WIE GRIECHEN KÄMPFEN“.
    Wir heutigen Schweizer sind so wie die damaligen Franzosen oder Holländer oder Belgier oder Dänen oder Jugoslawen und werden im Fall eines europäischen Chaos oder Krieges dafür ebenso teuer bezahlen, wie diese.
    Den Kritikern der Schweiz, die unserem Land den überlebenswichtigen Handel mit Deutschland vorwerfen und sagen, wir hätten nur Deutschland Waffen geliefert (kürzlich in einem ganzseitigen NZZ-Artikel von einem Prof Beat Wyss behauptet) kann man leicht widersprechen.
    Z.B. Warum schrieb der für den Wirtschaftskrieg im Oberkommando der Wehrmacht verantwortliche Stab am 4. Juni 1940 in einem Memorandum für Hitler: „DIE KRIEGSGERÄTELIEFERUNGEN DER SCHWEIZ AN DIE FEINDMÄCHTE ÜBEESTEIGEN DIE LIEFERUNGEN FÜR DEUTSCHLAND UM EIN VIELFACHES“. So hatte z.B. die Schweiz bei Kriegsbeginn der englischen Flotte 1500 Fliegerabwehrkanonen geliefert, 3 mal mehr als sie selber hatte.
    Warum erhoffte sich das britische Ausseministerium in einem Brief vom 22. September 1940, d.h. als Deutschland nach dem Fall Frankreichs den gesamten Aussenhandel der Schweiz kontrollierte, seinem Botschafter in Bern, dass die Schweiz Deutschland gegenüber „ENTGEGENKOMMEN ZEIGE“? So „BESTEHE WENIGSTENS FÜR EINIGE ZEIT DIE MÖGLICHKEIT VERHINDERN ZU KÖNNEN, DASS SIE DIE LIEFERUNGEN VON KRIEGSMATERIAL ANS VEREINIGTE KÖNIGREICH VÖLLIG EINSTELLEN MÜSSE.“Diese Lieferungen fanden statt, aber nur mit Genehmigung Deutschlands. Das hat mit Moral und Ethik wenig zu tun, aber sehr wohl mit Wahrung Ihrer Interessen durch die Kriegsparteien.
    Gotthard Frick, Bottmingen

    • Einfach das Kriegsvölkerrecht Konsultieren.
      Die Rechte und Pflichten der Neutralen sind
      ausführlich umschrieben.
      Die Schweiz hat sich damals bestmöglich danach
      mit Ervolg gehalten.
      Die ,,Neuhistoriker,, sind entschuldigung
      dumme Schwadronierer einfach ,,Laferie,,.

  5. Das Original der Operation Tannenbau ist
    inzwischen im Netz frei abrufbar.
    Geplant war eine Zangenoperation entlang
    der Voralpen.
    Das aus den Feldzügen gegen Polen und Frankreich
    bekannte Opratieve Grundmuster.
    Die D-Wehrmacht konnte und wollte sich keinen
    verlustreichen Gebirgskrieg leisten.
    Oberste Prorität hatte der Feldzug gegen die UDSSR.
    Der Ch-Generalstab hat als damals einziger rechtzeitig
    eine entsprechende Operatieve Gegenstrategie Umgesetzt.
    Die übrigen Armeestäbe haben stur an den Operativen
    Mustern aus dem 1.Weltkrieg festgehalten, waren darin
    gefangen.
    Am verheerendsten wirkte die Innovationsschwäche der
    Generalitäten ( Stalin) im Ostfeldzug.
    Die Verluste waren enorm, mit Tagesverlusten von
    in der Spitze 500000 Mann.
    Dumme Generalitäten sind der Tod jeder Armee.

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