Noch ist die Milizarmee nicht gerettet

Noch ist die Milizarmee nicht gerettet

Noch ist die Milizarmee nicht gerettet – im Gegenteil: Mit der vierten Grossreform (WEA) innert 18 Jahren droht ihr neues Ungemach ! Seit dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 ist die Schweizerische Sicherheits- und Armeepolitik aus dem Tritt geraten. Unsere Milizarmee musste seit 1995 drei grosse Totalreformen (Armee 95, Armee XXI, Entwicklungsschritt 08/11) über sich ergehen lassen. Keine dieser Reformen wurde je wirklich abgeschlossen und nun steht die vierte Grossreform unter dem Titel „WEA – Weiterentwicklung der Armee“ ins Haus. Seit dem 26. Juni 2013 hat der Bundesrat die WEA-Vorlage in die Vernehmlassung gegeben. Die Vernehmlassungsfrist läuft am 17. Oktober 2013 ab.
von Hermann Suter, in Basler Liberale Nachrichten, Nr.39. 1. Oktober 2013
Sollte dieses vierte Reformprojekt von den Eidg. Räten in der vorliegenden Form durchgewunken werden, bedeutet dies nicht nur eine krasse Verletzung des Bundesverfassung, sondern das Ende einer schweizerischen Milizarmee, welche Land und Volk wirksam nach Aussen und nach Innen schützen kann. Damit wäre es auch um die Sicherheit der Schweiz und ihres Wohlstandes ein für allemal vorbei. 
Das WEA-Projekt basiert auf falschen Grundlagen und weist schwere Mängel auf
„Voraussetzung für eine „Weiterentwicklung der Armee“ ist die Erfassung der Ist-Zustandes einerseits und eine klare Zielvorgabe, dargelegt in Form eines neuen sicherheitspolitischen Berichtes, andererseits. Nun stellt das VBS einen neuen sicherheitspolitischen Bericht aber erst auf Ende 2014 in Aussicht (und sogar daran wird mittlerweile gezweifelt). Das heisst, dass es unter künstlich erzeugtem Zeitdruck Fakten schaffen will – wie etwa den Verkauf zahlreicher Armeeimmobilien -, für welche es die Begründung erst später nachliefern will. Ein solches Vorgehen der Exekutive löst Kopfschütteln aus.
Aus der Sicht der Gruppe GIARDINO gibt es auf die „WEA“ nur eine Antwort: die zugehörige Militärgesetzrevision sei zurückzuweisen. Stattdessen muss zunächst der Zustand der heutigen Armee korrekt analysiert, die Zielerreichung der Armee XXI sowie des ES 08/11 überprüft und die verbleibende Mängelliste dargestellt werden. Dazu gehört auch eine saubere sicherheitspolitische Problemerfassung inklusive ein neuer sicherheitspolitischer Bericht, der auf überprüfbaren Fakten und nachvollziehbaren Analysen beruht und nicht so politisch eingefärbt ist, wie jener aus dem Jahr 2010.
An einer am 20. August 2013 in Ermatingen stattgefundenen Lilienbergtagung zum Thema WEA ging erstmals unwidersprochen der Zustand der Armee hervor, der die Grundlage zur WEA bilden soll: Die Armee ist nicht ausgerüstet, sie ist nicht einsatzbereit (Mobilmachungsfähigkeit) und sie ist für die zur Verteidigung nötigen Einsätze ungenügend ausgebildet. Da diese Aussagen nur die jetzige Lagebeurteilung sind, stellt sich die Frage nach der vollständigen Ausgangslage, damit jetzt endlich für die nächsten 10 Jahre vom selben gesprochen wird. Deshalb fordert GIARDINO seit drei Jahren eine profunde Analyse der Ist-Zustandes. Diese von der Gruppe Giardino geforderte Generalinspektion (in der Privatwirtschaft würde sie “Due Diligence” genannt) kann weder durch das VBS selbst noch durch vom VBS zugezogene Berater erstellt werden. Sie ist einem Team von unabhängigen schweizerischen Experten zu übertragen. Nur so kann das Vertrauen in unsere Militärpolitik und damit in unsere Sicherheitspolitik wieder hergestellt werden. Die Verweigerung dieser Massnahme durch bestimmte Instanzen lässt vermuten, dass diese offensichtlich auf eine neuralgische Zone zielt…“ (Quelle: Vernehmlassung der Gruppe GIARDINO zur WEA, Seite 1)
Lange Mängelliste in der WEA-Vorlage
Die nachfolgende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie gibt aber auch in der „komprimierten Form“ schwer zu denken. So gehen die Autoren dieser WEA-Vorlage u.a. nicht von den gefährlichsten, sondern beharrlich von den wahrscheinlichsten Bedrohungen unseres Landes aus. Die Ausbildungszeiten sollen weiter verkürzt werden (z.B. nur noch 2, statt 3 Wochen WK) und damit werden die so wichtigen Verbandschulungen praktisch verunmöglicht. Zwar wird von der Wiedereinführung einer „abgestuften Bereitschaft“ gesprochen. Aber eine gesamte Mobilisierungsfähigkeit der Armee (das ist das A und O, damit eine Miliz-Armee überhaupt antreten kann!) wird nicht angestrebt. Mit der WEA-Vorlage wird der jetzt schon massive Kadermangel weiter verschärft, ganz zu schweigen von den schweren Ausrüstungsmängeln (gewaltige Materialmengen wurden in den letzten Jahren ohne Not vernichtet – GIARDINO schätzt diese auf 2,5 Milliarden CHF). Selbst die geplanten (noch zwei) Kampfbrigaden könnten nicht vollständig ausgerüstet werden. Es fehlt an allen Ecken und Enden, u.a. auch an genügend gepanzerten Truppentransportfahrzeugen. Die Armee bleibt weiterhin finanzgesteuert. Auf Reserven (personeller und materieller Art) wird expressis verbis verzichtet. Schwere Mittel (Artillerie, Panzer usw.) werden weiter liquidiert, bzw. deren Anzahl heruntergeschraubt.
Die modernen Festungsminenwerfer (Fest Mw 12cm) werden „eingemottet“ oder sogar verschrottet. Schliesslich wird ein verfassungswidriger Paradigmawechsel vorgenommen: Die Verteidigungsfähigkeit der Armee wird statt dem „pouvoir faire“ in ein „savoir faire“ umgewandelt. Im Klartext bedeutet dies, dass das Land nach Aussen und Innen nur mehr theoretisch auf dem Papier verteidigt und geschützt werden kann. Dafür wird den subsidiären Hilfestellungen der Armee – etwa zugunsten von Kantonen und Gemeinden bei natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und Notlagen eindeutig der Vorzug geben. Und dies – gemäss der jetzigen WEA- Vorlage – auch nur mit nahezu halbierten Beständen (max 20‘000, statt 35‘000 AdA)! Dass man damit in die Hände der GSoA spielt, die – für einmal zurecht – darauf hinweist, dass die Wehrpflicht gemäss Menschenrechtskonvention nicht für solche Einsätze herhalten darf („Zwangsarbeit“), scheint niemand in Bern gemerkt zu haben.
Zusammenfassend kann und muss festgestellt werden, dass die jetzige WEA-Vorlage eine „weiterentwickelte Armee“ anvisiert, welche weder vollständig ausgebildet, noch vollständig ausgerüstet und versorgt, noch wirklich mobilisierbar ist und über keinerlei Reserven mehr in personeller und materieller Hinsicht verfügen wird!
(Es sei in diesem Zusammen auf die „Sicherheitspolitische Information/ August 2013“, Hrsg. Vom Verein Sicherheitspolitik und Wehrwissenschaft, VSWW, verwiesen. Sie ist unter dem Titel „Weiterentwicklung der Armee: Marschrichtung stimmt – deutlicher Korrekturbedarf im Detail“) erschienen. Wie kann das ganz grosse Unglück in Sachen Landesverteidigung vermieden und die Armee wieder zu einem glaubwürdigen Instrument der Landesverteidigung aufgebaut werden?
Seit nunmehr drei Jahren kämpft die Gruppe GIARDINO gegen die weitere Schwächung der Milizarmee und für deren Wiederaufbau. Dieser Kampf ist extrem schwierig und kräftezehrend. Er passiert auf reiner Milizbasis und ehrenamtlich. Wir haben es mit einer Landesregierung zu tun, welche diese Armee in den vergangenen Jahren rein finanzgesteuert und politisch in höchst unverantwortlicher, ja verfassungswidriger Weise im Stich gelassen hat. Die schlimme Zeit der 20er- und 30er-Jahre des 20. Jahrhundert (1919-1939) wiederholt sich. Aber auch das Verhalten der Eidg. Räte gegenüber der Armee seit dem Fall der Berliner Mauer lässt schwer zu wünschen übrig. Es ist nicht nur der zu beklagende Mangel an militärischem Sachverstand, sondern es ist vor allem der Mangel an politischem Willen, die Armee nicht verlottern zu lassen. Aber was soll man noch sagen, wenn ein gestandener Ständerat noch 2010 öffentlich erklärte „die Schweiz sei von einem Speckgürtel von Freunden umgeben“? Wer weiss wie die Welt morgen, in 5 in 10 Jahren aussieht? Wer will allen Ernstes behaupten, dass selbst Europa nie wieder einen Krieg erleben wird?
Mit dem Buch „Mut zur Kursänderung – Schweizerische Sicherheitspolitik am Wendepunkt“ (25 Franken. Erhältlich eikos-Verlag, Bestellungen unter www.gruppe-giardino.ch/Buch) zeigt die Gruppe GIARDINO in eindrücklicher Weise auf, in welche Richtung die politische Kursänderung zum Wiederaufbau einer glaubwürdigen Landesverteidigung gehen müsste. GIARDINO sucht sodann das Gespräch mit den Mitgliedern der Eidg. Räte, mit den bürgerlichen Parteien und teilt die Sorgen anderer Milizorganisationen. Unsere Mitglieder engagieren sich aber auch bei zahlreichen Gelegenheiten, nehmen ihrerseits mit Mitgliedern der Eidg. Räte usw. auf und lassen sich nach Möglichkeit in Leserbriefen vernehmen. Leider schweigt das Gros der Medien den Kampf der Gruppe GIARDINO tot, stellt die Dinge manipulativ und desinformativ dar und/oder überschüttet uns mit Häme.
Petition zum Wiederaufbau der Armee
Seit Ende Juli 2013 hat die Gruppe GIARDINO eine Petition zum Wiederaufbau der Schweizer Milizarmee lanciert. Darin verlangen wir (neben 10 Sofortmassnahmen) eine verfassungskonforme Armee wie folgt:

  1. Ausrichtung nach der gefährlichsten Möglichkeit des Gegners oberhalb der Kriegsschwelle
  2. Allgemeine Wehrpflicht, höhere Wehrgerechtigkeit durch abgestufte Tauglichkeit.
  3. Priorisierung des Auftrages „Verteidigung“. Unterstützung der zivilen Behörden in Notlagen
  4. Inner 48 Stunden mobilmachungsfähige „Milizarmee“
  5. Vollständige Ausrüstung und dezentrale Logistik
  6. Fokussierung auf langfristige Kaderaus- und -weiterbildung.

Bereits haben wir einige tausend Unterschriften gesammelt. Die Sammlungsfrist läuft bis zum Sommer 2014. Wir wollen mit der Petition den Druck auf die verantwortlichen, politischen Instanzen (Bundesrat und Eidg. Räte, polit. Parteien usw.) erhöhen. Unterschreiben Sie die Petition (gruppe-giardino.ch/petition) und helfen Sie aktiv mit beim Unterschriften sammeln.
Ich appelliere an Sie Alle: Krempeln Sie auch Ihre Ärmel hoch und unterstützen Sie GIARDINO im Kampf gegen die Zerstörung der Milizarmee. Nehmen Sie Kontakt mit den Ihnen bekannten Mitgliedern der Eidg. Räte auf und sagen Sie diesen Ihre Meinung. Schreiben Sie Leserbriefe, besuchen Sie sicherheitspolitische Veranstaltungen. Sagen Sie den Medienschaffenden Ihre Meinung in Sachen Sicherheits- und Armeepolitik. Zeigen Sie Zivilcourage.
Bis zum Fall der Berliner Mauer verfügte die Schweiz über eine glaubwürdige Landesverteidigung. Unsere reine Verteidigungsarmee wurde im Aus- land ernst genommen und die „Bewaffnete Neutralität“ kam draussen in der Welt ebenso glaubwürdig an. Seit 1989 haben Bundesrat und Eidg. Räte die Armee enorm geschwächt. Unsere Kinder und Kindeskinder haben ein Anrecht auf eine glaubwürdige Landesverteidigung wie wir es auch hatten. Wer die Armee weiter im Stich lässt, stellt die Sicherheit von Land und Volk und damit auch unsere Volkswirtschaft und unseren Wohlstand aufs Spiel!

 

Kommentare: 4

  1. Urs Berner sagt:

    … “krasse Verletzung der Bundesverfassung” … Man ahnt, was kommt: Giardinos sind natürlich die einzigen, die das merken, weil der Rest der Schweiz schläft, insbesondere diejenigen, welche die Instrumente in der Hand haben, um etwas zu unternehmen (Bundesrat, Parlament, Parteien). Was mit dem Bundesrat geschehen sollte, hat Hermann Suter ja schon geäussert.
    Das Ganze erinnert mich an den Autofahrer, der die Radiomeldung zu einem Geisterfahrer kommentiert: “was heisst da ein Geisterfahrer??? Hunderte ???”.
    Und was macht Giardino daraus? Statt sich einer inhaltlichen, demokratischen Diskussion zu stellen, wird auf Zeit gespielt: zurückweisen und neue Berichte fordern.
    Das bringt uns nicht weiter auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Milizarmee.

    • Beda Düggelin sagt:

      Es wird nicht auf Zeit gespielt, ganz im Gegenteil, sondern eine glasklare Meinung geäussert.
      Die kann nur heissen: “Return to sender”, leider ohne Elvis Presley! Denn eines ist klar, wer nur schon “ja, aber” sagt, hat schon verloren und er wird gänzlich über den Tisch gezogen werden. Danach wird es dann heissen: “auch du warst einer unter ihnen”. Diejenigen, welche “ja, aber” gesagt haben, werden sich dann nicht mehr an dieses “ja, aber” erinnern. Und der Hahn wird dann mehrere Male zweimal krähen…..! Es wird dann mehrere Sünder geben, welche Busse tun werden müssen! – Vgl. Jesus sagt zu Petrus: „Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ (Mk. 14,30)

  2. Urs Berner sagt:

    … Politik ist die Kunst der Verhandlungen und der Mehrheiten – wir sind ja stolz auf unsere direkte Demokratie. Ob uns Bibelzitate weiterhelfen, Mehrheiten zu beschaffen?

  3. Willy P. Stelzer sagt:

    Herr Urs Berner ist ersucht das Buch “Mut zur Kursänderung” seriös zu studieren, insbesondere das Kapitel 8, “Die Kehrtwende”. Giardino ist bis heute, neben “Pro Militia” die einzige Miliz Organisation, welche ohne Wenn und Aber die notwendigen Massnahmen und Korrekturen kristallklar aufzeigt, bzw. verlangt. Drei Reformen, ausgeführt innerhalb von 1 1/2 Dekaden, sind gescheitert. Und jetzt will die VBS-Spitze, gesteuert vom VBS-Verwaltungs-Moloch, auf morscher Basis eine weitere “Reform” erzwingen. WEA bedeutet, wenn Sie diese ungenehmigte Planung vertieft studieren, “Weitere Eliminierung der Armee”. Ist Ihnen klar, dass geplant ist weitere Waffensysteme zu eliminieren, ohne dass Ersatz vorhanden ist? Machen Sie, Herr Berner, doch Gebrauch von der Möglichkeit, welche Ihnen die direkte Demokratie bietet und verlangen Sie ein Fachgespräch mit der Führungsspitze, zusammen mit einem Freund als Gesprächszeugen. Veröffentlichen Sie sodann das Ergebnis dieser Besprechung. Vielen Dank im Voraus für Ihre persönliche Anstrengung zu Gunsten einer einsatzfähigen, glaubwürdigen und aus dem Stand heraus wieder mobilisierbaren Schweizer Miliz Armee.

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