Wir die Schweiz nicht mehr als neutral wahrgenommen?
In der Juni-Ausgabe 2013 der ASMZ, der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift, wies ich unter dem Titel „DAS ENDE DER SCHWEIZERISCHEN NEUTRALITÄT?“ auf die von unserer Regierung betriebene schleichende Integration der Schweiz in die NATO und auf das damit verbundene Risiko hin, das uns Mächte ausserhalb des Einflussgebietes der USA und ihres Satellitengürtels aus NATO und anderen Verbündeten, nicht mehr als neutrales Land, sondern als Teil des westlichen militärischen Machtblockes sehen.
von Gotthard Frick, Beijing
Im Falle grösserer Spannungen oder von Krieg und im Lichte der Tatsache, dass wir praktische keine Armee mehr haben, die einen Angriff vom Land fern halten könnte, könnte das für unser Land fatale Konsequenzen haben, z.B. den gewaltsamen Einbezug unserer Infrastruktur, besonders der Alpentransversalen, die von gesamteuropäischer strategischer Bedeutung sind, in die NATO. Andererseits könnte der Gegner der NATO versucht sein, den Einbezug unseres Landes in die Kriegführung der NATO durch eine präventive Besetzung strategisch wichtiger Ziele oder durch deren Zerstörung oder eine Kombination von beiden zu verwehren. Das wäre dann mit der Zeit der napoleonischen Krieg vergleichbar, als sich fremde Armeen auf Schweizer Boden Schlachten lieferten, weil wir keine Armee mehr hatten, die das hätte verhindern können.
Das wäre auch das gleiche Szenario, das 1943 der letzten deutschen Angriffsplanung gegen unser Land zu Grunde lag: Durch die präventive Besetzung der Schweiz sollte den Alliierten die Möglichkeit genommen werden, die Schweiz militärisch zu zwingen, auf ihrer Seite in den Krieg einzutreten. Der die Planung leitende deutsche General kam zum Schluss, an sich könne sich Deutschland eine solche Operation gegen ein gut verteidigtes Gebirgsland nicht leisten. Aber falls sich die Schweiz Deutschland gegenüber zu feindselig verhalte, könnte es die Schweiz durch die komplette Unterbindung aller Zufuhren unter Druck setzen, um eine entgegenkommendere Haltung zu erzwingen (das hätte auch die Schweizer Importe aus den Ländern unter alliierter Kontrolle und den anderen neutralen Staaten betroffen).
Die letzten Überlegungen zu einem Angriff auf die Schweiz stellten im Herbst 1944 die amerikanischen Streitkräfte an. Sie folgten damit einem Drängen Stalins. Da die Alliierten damals lange in Frankreich stecken geblieben waren, forderte er die Alliierten ultimativ auf, die deutsche Front durch einen Angriff durch die Schweiz zu umgehen. Die Joint Chiefs of Staff kamen aber zum negativen Schluss, der Erfolg einer solchen Operation sei angesichts der kleinen, aber anerkanntermassen effizienten Schweizer Armee, die auch noch in ihrem eigenen Gelände kämpfe, zweifelhaft („doubtful„). In beiden Fällen war unsere Armee das stärkste Gewicht in der Wagschale der Kosten und Nutzen eines Angriffes. (Quelle: „Hitlers Krieg und die Selbstbehauptung der Schweiz 1933-1945„. Gotthard Frick.)
Im eingangs erwähnten ASMZ-Beitrag wies ich auf einen Anfang 2013 in einer Tageszeitung der kommunistischen Partei Chinas erschienen Artikel hin, wo die „PARTNERSCHAFT FÜR DEN FRIEDEN“ und andere von den USA und der NATO gegründete Organisationen der militärischen Zusammenarbeit als Instrumente der USA zur Durchsetzung ihrer globalen strategischen Ziele dargestellt wurden. Dabei wurde der pazifische Raum ausdrücklich auch als künftiges Operationsgebiet der NATO miteinbezogen. Die Schweiz ist bekanntlich ein Mitglied dieser „Partnerschaft“. (Zur Erinnerung: die chinesische Volksbefreiungsarmee mit ihren mehr als 2 Millionen Mann untersteht nicht der chinesischen Regierung oder dem Volkskongress, sondern direkt der kommunistischen Partei)
In einem für viele Deutsche, wenn sie über die Schweiz reden typischen, ironisch-süffisanten Ton schreibt die Zeitung DIE WELT über die Schweizer Armee. Ein Satz im Artikel der WELT sollte bei uns aber alle Alarmglocken läuten lassen: „Die Schweiz kooperiert mit der Nato, sollte je ein Schurkenstaat auf die Idee kommen, das Land zu überfallen, träten sofort die Bündnismächte auf den Plan.“ Offensichtlich ist bereits eine grössere europäische Zeitung der Ansicht, die Schweiz sei de facto Mitglied der NATO und damit Nutzniesser (und wohl auch Teilnehmer) der gegenseitigen militärischen Unterstützung, d.h. sie sieht uns als nicht mehr neutrales Land.
Wann begreifen wir Schweizer, was diese Entwicklung – schleichende Aufgabe der Neutralität und Auflösung einer glaubwürdigen Armee – bedeutet?
Kommentare: 5
Was die ausländische Presse über unsere Sicherheitspolitik schreibt ist nicht entscheidend, entscheidend ist unser eigener Wille und die Bereitschaft, um jeden Preis unsere Souveränität und Unabhängigkeit zu behaupten. Allerdings bröckelt eben dieser eigener Wille und dies ist die echte Gefahr! Offenbar realsiert bald niemand mehr, dass eine Armee mit 100´000 Mann und wenigen Frauen keine glaubwürdige Armee mehr ist und dass eine Armee mit 33 F/A 18 wohl kaum über einen ausreichenden Luftschirm verfügt. Auch hier geht der Krug der Abrüstung zum Brunnen bis er bricht!
Grüezi Giardinos, lieber Herr Frick, Sie überraschen und erfreuen mich immer wieder, mit Ihren klaren Aussagen, Analysen und mit realer Nüchternheit (unideologisch) dargelegtem Sachverhalt.
Die Schweiz hat nicht nur ihren guten Ruf der unbestechlichen bewaff-neten Neutralität verloren. Sie wird heute weltweit nicht mehr als neutraler Staat wahrgenommen. Am Ende des Kalten Krieges haben Regierungs-Entscheide (Annäherung an die NATO), skurrile Darstellungen der Rolle unserer Armee im 1.+2. Weltkrieg (samt Desavouierung der Leistung aller Grenzbesetzungs-Veteranen durch namhafte Historiker), chaotisch durchgeführte Eingriffe in die Strukturen der Landesverteidigung, permanentes, pazifistisches Gerede von Politikern, den letzten Rest eines beispielhaften Wehrwillens strapaziert, welcher unser Volk auszeichnete. Alle negativen Schlagzeilen zur Armee haben diesen Trend noch verstärkt.
Trotzdem hat eine Mehrheit der Schweizer den legendären Wehrwillen (mindestens Bruchstücke davon)für die letzte Abstimmung (Wehrpflicht) wieder aktiviert. Das gibt zu berechtigter Hoffnung Anlass.
Bewaffnete Neutralität glaubhaft nach aussen zu tragen, bedeutet eine kriegsgenügende (modular der aktuellen Bedrohungslage angepasst) Armee zur Verteidigung des eigenen Territoriums (samt Luftraum)zu unterhalten. Eine Landesverteidigung die abschreckend wirkt. Einen möglichen Agressor zweifeln lässt, uns im eigenen (vertrauten) Gelände erfolgreich angreifen zu können. Diese Strategie hat in der Vergangenheit gewirkt und ist auch zukunftstauglich. Wer es trotzdem wagt,bezahlt einen hohem Preis.
Eine Strategie die finanzielle Folgen hat, die jedoch in Friedens-zeiten den aktuellen Rahmen des Budgets nicht sprengt. Die aber die Abkehr von den unsäglichen, ideologisch geprägten Debatten bedeutet. Die alle Bundesratsparteien in die Pflicht nimmt, eine kompromiss-lose, glaubwürdige Landesverteidigung, unserem Bekenntnis zur bewaffneten Neutralität, gegenüber zu setzen.
Regierung und Volk kommen nicht darum herum, den Zustand der bewaff-neten Neutralität wieder herzustellen, mit allen zur Verfügung stehenden politischen Mitteln. Bei nüchterner Betrachtung aktueller Entscheide, bei neutraler Analyse von Rückmeldungen aus Volk und Politik (ein Grund mag die wachsende, gefühlte und erlebte Unsicher-heit sein). Es mag pathetisch daher kommen, aber wenn dies nicht gelingt, werden unsere Enkel die Schweiz als selbständige, freiheitliche Nation, nur noch vom Hören-Sagen (und aus den Geschichts-Büchern) kennen.
Wer seine Vergangenheit nicht kennt, hat keine Zukunft! Die Geschi-chte müsste eigentlich jeden (auch noch so ideologisch denkenden) Politiker und einfachen Bürger hellhörig machen, anregen seine Position zu überdenken. Die Fakten lassen an dieser Fähigkeit vieler Vetreter in Bundesbern zweifeln. Bürger und Wähler welche dies nicht mehr tolerieren wollen, können nur dagegen halten, indem sie überlegt und differenziert ihre Antwort mit dem Wahlzettel (2014+15) formulieren.
Seit die NATO von einem Verteidigungsbündnis North Atlantic Treaty Organization zu einem Angriffsbündnis sich entwickelt hat, kann man das «Treaty» durch «Terror» ersetzen; Also North Atlantic Terror Organization.
Durch a. BR. Adolf Ogi sind wir in die sogenannte «Partnerschaft», nun for
«War» in diese Organisation geführt worden. Von Peace keine Spur weit und breit. NATO ANGRIFFE seither überall.
Grüsse nach Beijing zu Gotthard Frick
Bitte nicht so, Herr Guler!
Andererseits ist es schon verrückt: Während des Kalten Krieges fanden sozialistische Kreise, die NATO und die Schweiz reagierten bezüglich des doch reinen Verteidigungsbündnisses namens Warschauer Pakt völlig hysterisch. Seit dem Ende des Kalten Krieges behaupten die gleichen Kreise, nun sei die Gefahr ja vorbei. Warum es denn überhaupt noch eine NATO und eine schweizerische, schwedische oder finnische Armee brauche. Je nach Grosslage wird bald dies behauptet und bald das pure Gegenteil davon.
Doch damit nicht genug; denn seit dem Ende des Kalten Krieges fordern linke Kreise zusammen mit der politischen Mitte einen Sicherheitsbericht nach dem andern, was an Zynismus grenzt; denn es ist in der Regel unmöglich, genau festzuhalten, wofür eine Armee dereinst gebraucht werden könnte.
Keine Feuerwehr der Welt kann sagen, wo und weshalb sie irgendwann zum Einsatz komme. Es sei denn, sie plane die Brände gleich selbst. Sie hält sich einfach in Bereitschaft und versucht, gegen Brände so gut wie möglich gewappnet zu sein.
Bezüglich der Landesverteidigung kommt erschwerend dazu, dass die Strategen aller Staaten gezwungen sind, die bewaffnet neutrale Schweiz in ihre Planung miteinzubeziehen, wie dies Herr Gotthard Frick auf dieser Plattform schon mehrere Male dargelegt hat.
Ob die Botschaft, die wir hinsichtlich unseres Verteidigungswillens zurzeit nach aussen senden, tatsächlich schon so prekär ist, wie Herr Frick behauptet, kann ich nicht sagen. Trotzdem könnte er durchaus recht haben, wenn er schreibt: „Man darf getrost davon ausgehen, dass die Generalstäbe der USA, der grösseren europäischen Mächte, aber auch Russlands – denen wohl nicht entgangen sein dürfte, dass unser Land über keine ernst zu nehmende Landesverteidigung mehr verfügt – auch den Fall “Schweiz” in ihre Planungen einbeziehen.“
Ich bin sehr dankbar, dass wir in der Schweiz mindestens noch EINEN Historiker haben, der die Realitäten der Geschichte NICHT verdreht. Vielen Dank Herr Frick! Darf ich eine Frage aus Aegypten stellen: nach der Revolution vom 25.1.2011 beschaffte Bundesrätin Calmy Rey einen Kredit, um in Kairo eine Polizeischule zu bauen. Bis heute kann mir hier niemand sagen, wo sich diese Schule oder Akademie befinden soll. Und die Polizei benimmt sich ärger als je gegen die eigenen Bürger, die Aegypter können froh sein, dass sie noch ihre Milizarmee hat, die einigermassen den Durchblick hat. Viele Anschläge gegen die Armee sollen von gekauften Polizisten kommen. Die haben einen Monatslohn von rund 60 Franken. Da liegt Potenzial drin für die Anhänger von Mursi….Wissen Sie etwas darüber, wo das Geld hingekommen ist resp. ob es ausbezahlt wurde? Vielen Dank.
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