Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann: "Militärgeschichte ist wichtig"

Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann: "Militärgeschichte ist wichtig"

Weshalb kommt es in der Schweiz [1848] zu einer bürgerlich-liberalen Revolution, während dieselbe Bewegung in den Nachbarländern scheitert?
Der wichtigste Grund ist das Fehlen einer Monarchie und allgemein das Fehlen eines Adels. In diesem Punkt unterscheidet sich die Schweiz am deutlichsten von ihren Nachbarn. Sie ist ein zutiefst bürgerliches Land. Wichtig ist auch, dass die alten Eliten über kein stehendes Heer verfügten. Als es hart auf hart kam, konnten sie sich nicht wehren. Besonders gut sieht man das in den ersten Erhebungen der 1830er-Jahre: Da rotten sich einige Landbewohner zusammen und laufen in den Kantonshauptort, und das war es dann – Umsturz, Revolution. Das sind komplett andere Verhältnisse als in Preussen oder Frankreich, wo es eine Armee gibt, die auf Demonstranten schiesst. […]
Militärgeschichte ist wichtig. Die modernen Staaten sind als Ergebnis von Kriegen entstanden. Ich bin einverstanden, dass die Schweizer Identität nicht einfach eine Konstruktion des späten 19. Jahrhunderts ist. Ein Nationalgefühl hat es zuvor zwar nicht gegeben, aber das Gefühl der Zusammengehörigkeit ist viel älter. Das gilt aber auch für Frankreich oder England.
Was macht denn Marignano so speziell?
Die Tatsache, dass die Schweizer einen Expansionskrieg führten, dann aber eine so verheerende Niederlage einstecken mussten, dass sie solche Abenteuer nicht mehr wagten. Ich finde auch grossartig, dass man einer Niederlage gedenkt. Die Debatte gleitet zuweilen ins Absurde: Bei Morgarten heisst es, das sei eine Siegesgeschichte, im Sinn von: Vorsicht, da wird glorifiziert – und bei Marignano dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen. Es wird zwanghaft versucht, alles zu umfahren, was irgendwie mit dem Schweizer Sonderfall zu tun hat.
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