35'000 Mann in 10 Tagen – wofür?
Die Schweizer Armee soll kleiner, schneller und schlagkräftiger werden. Die von Verteidigungsminister Ueli Maurer gestern skizzierte Reform sieht unter anderem vor, künftig ein Drittel der Armee rasch aufbieten zu können. Konkret sollen innerhalb von zehn Tagen bis zu 35’000 Mann einsatzfähig sein. Zum Vergleich: Heute würde es zehn Wochen dauern, um 8000 Soldaten zu mobilisieren. Daher sei die Schweizer Armee bei einem unvorhergesehenen Ernstfall gar nicht einsatzfähig, sagte Maurer. Der SVP-Bundesrat blieb gestern aber vage, als es um die Benennung möglicher Bedrohungen ging, die einen raschen Armeegrosseinsatz erfordern würden.
Welche Szenarien wären also denkbar, die ein blitzschnelles Grossaufgebot von 35’000 Armeeangehörigen auslösen würden? Die Militärstrategieexperten Mauro Mantovani und Kurt Spillmann skizzieren gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet drei mögliche Einsatzbereiche aufgrund der aktuellen Bedrohungslage:
Beitrag auf tagesanzeiger.ch
Kommentar:
Wäre es nicht Aufgabe der Landesregierung, diese Szenarien VOR einer Armeereform auf den Tisch zu legen? Jetzt soll die Wissenschaft die Begründung nachträglich liefern. So wird das Pferd am Schwanz aufgezäumt!
Ob die 35’000 für diese Szenarien ausreichen, wagt wohl niemand klar vorzurechnen – das Resultat würde einmal mehr die völlige Verkennung der Realität beweisen.
Kommentare: 8
Im Zuge der zwischenzeitlich total gescheiterten Reform „Armee XXI“ wurde die bis zu diesem Zeitpunkt beispielhafte schweizerische Mobilmachungsfähigkeit der Milizarmee von den Verantwortlichen in VBS und Armeeleitung mutwillig zerstört.
Sowohl das Duo aBR Ogi+CdA Scherrer, wie vor allem auch aBR Schmid+CdA Keckeis haben diese völlig verfehlte Abschaffung der einst vorbildlichen Mobilmachungsfähigkeit der Schweizer Milizarmee beschlossen. SIE haben diesbezüglich das heutige – gefährliche! – Ungenügen zu verantworten. Nun reden BR Maurer+CdA Blattmann immerhin wieder von der Einführung einer „Erhöhten Bereitschaft“. Diese soll für jene 35’000AdA gelten, welche man in erster Linie für sog. subsidiäre Einsätze vorsehen will (Hilfe bei zivilisations- und naturbedingten Katastrophen und Notlagen). Keine Geiss schleckt es weg: Aber eine MILIZARMEE, welche nicht innert 48-72 Stunden als GANZES mobilisiert werden kann, bleibt gescheiter zu Hause! FAZIT: Auch unter diesem Titel ist die jetzt vorgelegte WEA-Reform absolut untauglich und muss deshalb zurückgewiesen werden. Kommt hinzu, dass es für die Einführung dieses Systems der „Erhöhten Bereitschaft“ gemäss Aussagen des CdA mindestens weitere FÜNF JAHRE brauche! Was bis zu diesem Zeitpunkt in der Welt, in Europa, in Sachen zivilisations- und naturbedingter Katastrophen und Notlagen passieren kann und könnte, weiss Niemand.
35’OOO Mann in zehn Tagen? Absolut lächerlich! Wir waren damals, wenn nicht irgendwo unterwegs, innert 1 Tag pronto! Innert 2 Tagen können schlimmstenfalls die Flughäfen Zürich, Genf und Bern, sowie 2-3 Atomkraftwerke + das Bundeshaus blockiert werden. Wer so etwas planen und durchführen will, der kündigt das nicht 1O Tage vorher an! Und dafür reichen dann 4-5 richtig „programmierte“ Bataillone! – Erhöhte Bereitschaft!? Auf was für Zeichen warten sie denn? Die Gefahren-Palette ist flexibler geworden. Wer sich auf dem geopolitischen Umfeld ein bisschen informiert, muss nicht mehr weiterträumen! Anstelle einer glaubwürdigen, ebenso flexiblen wie starken Strategie, träumen die obersten Verantwortlichen von einer Sicherheit der guten Hoffnung, und dem Glück der historischen Verschonung, wir sind ja doch von so einem unglaublich grossen, dichten und funktionsfähigen Nato-Schirm umgeben. (Habe ich kürzlich aus linker Quelle gehört)
„Wir waren […] innert 1 Tag pronto!“ Wo bleiben bloss die vielen altgedienten Gst Of und Militärhistoriker der GG, die solche Auffassungen hier richtigstellen. Jeder, der das Mobilmachungssystem der A61/95 kennt, weiss, dass einer AKMob auch damals zeitaufwändige Vorbereitungsmassnahmen (Pikettstellungen, evtl. TMob, CAPO-Massnahmen) vorausgingen und die Armee durchaus nicht innert einem Tag, d.h. aus dem Stand, „pronto“ war. Nach der eigentlichen Mob mussten die sogenannten Grundkampfdispositive (THEOPHIL 1974, JANUS 1984, ZEUS 1991) bezogen werden, evtl. je nach Bedrohung ein weiteres vom Generalstab geplantes Dispo, wenn die Bedrohungsrichtung oder der gegnerische Kräfteansatz nicht mit dem vorbereiteten Grundkampfdispo übereinstimmte. Und diese Kampfdispos mussten anschliessend aufwendig genietechnisch verstärkt werden (Bau von Feldunterständen, Waffenstellungen etc.), da die mehrheitlich aus ungeschützter und unbeweglicher Infanterie bestehende A61 nicht in der Lage gewesen wäre, einem mechanisierten Angreifer in offener Feldschlacht entgegenzutreten. All dies hätte Tage, wenn nicht Wochen gedauert (siehe die einschlägige Literatur z.B. von KKdt Hans Senn). Damit wir uns richtig verstehen: Es geht hier nicht darum, das Mob System oder die Kampfkraft der A61 schlechtzureden. Es bringt aber auch nichts, beides mythisch zu überhöhen.
Und noch etwas: Es glaubt doch wohl niemand, dass die Bereitschaft der WEA und der Kräftebedarf von 35’000 AdA nicht auf Szenarien basieren und dass die Armee auf ein paar nachträglich vorgebrachte Begründungen von Militärwissenschaftlern angewiesen wäre? Wer die Botschaft zur WEA aufmerksam liest, findet diese Szenarien (z.B. anhaltende Terrorbedrohungen / Schutz kritischer Infrastrukturen bei massiver Bedrohung, Hochwasser, Erdbeben, grossflächiger Stromausfall) durchaus. Und diese Szenarien decken sich denn auch mit denjenigen der beiden Strategiefachleuten. Und schliesslich: Die Botschaft zur WEA spricht klar davon, dass für die GESAMTE Armee wieder ein Mobilmachungssystem eingeführt werden soll (Botschaft S. 17), also nicht nur für Verbände zur Erbringung subsidiärer Einsätze. Für subsidiäre Sicherungsaufgaben kann es zudem auch nötig sein, bei Bedarf robuste Kräfte (also z.B. Pz oder Mech Bat) einzusetzen, wie die Botschaft zur WEA (S. 12) ausführt. Es handelt sich folglich bei subsidiären Aufgaben nicht einfach nur um Hilfseinsätze der Armee bei Katastrophen und Notlagen, wie Hermann Suter oben glauben machen will. Inbegriffen sind auch Einsätze der Armee bei schwerwiegenden Bedrohungen der inneren Sicherheit, also hart unterhalb der Kriegsschwelle (wo auch immer diese in einem Kontext hybrider Bedrohungen liegen mag).
Lukas Z. Das ist natürlich alles richtig, die Schwerfälligkeit einer Generalmobilmachung braucht hier nicht bestritten zu werden. Aber genau deshalb hatten wir auch beispielsweise die Flughafenregimenter. Und unabhängig von der Art der Mobilmachung ermöglichte es unsere Milizarmee, dass der einzelne Wehrmann im Normalfall innerhalb 24 Stunden mit seiner persönlichen Ausrüstung, Waffe und Taschenmunition einsatzbereit gewesen wäre. (ich habe Beispiele in Grenzbrigaden gesehen, wo die Dienstpflichtigen sogar innert Stunden auf ihren Mobilmachungsplätzen hätten erscheinen können). Das Szenario mechanisierter Angreifer (weiland die Panzerdivisionen des dritten Reiches) gegen ungeschützte und unbewegliche Infanterie, würde berechenbare Vorwarnzeiten ergeben. Damit ist wohl eher nicht mehr zu rechnen. Bedrohungen werden heute flexibel „ökonomisch“ den dispositiven Löchern und Schwächen angepasst. Verteidigungsbereitschaft darf keinesfalls zuerst von selbstgebauten bürokratisch-organisatorischen Mängeln behindert werden.
Man kann mir nicht weismachen, dass es nicht möglich sei, eine völlig neue, auf modernster Technologie und Erkenntnissen basierende Armee-Mobilisierungsstruktur zu erstellen, die den aktuellen und zu erwartenden Bedrohungslagen mit möglichst hohem Effizienzfaktor gerecht wird! Das gehört auch immer noch zum verbindliche Auftrag von Volksmehrheit und Bundesverfassung!
Wir wissen aber auch, dass von den Flhf Rgt max ein Drittel aus dem Stand einrücken konnten, trotz doppelter Ausrüstung und ausgeklügeltem Alarmierungssystem.
Etwas weniger verklärte Vergangenheitsträumerei täte GG gelegentlich gut.
@ Alexander Steinacher: Was Sie hier anmahnen, scheint ziemlich genau dem zu entsprechen, was in der Botschaft zur WEA im Kapitel Bereitschaftssystem (S. 16f.) beschrieben wird: Ein mehrstufiges, flexibles System, das es erlaubt, bedarfsgerecht Truppen mit unterschiedlicher Bereitschaft (von Profi- und Bereitschaftsformationen über WK-Verbände und Milizformationen mit hoher Bereitschaft bis hin zum Aufgebot bedeutender Kräfte mit einem zeitgemässen Mobilmachungssystem) zu mobilisieren und einzusetzen. Genau dies ist es doch, was aufgrund der aktuellen und zu erwartenden Bedrohungslage erforderlich ist.
Als aktiver Kp Kdt kann ich meinem Vorredner Lukas Z. nur zustimmen. Ich sehe zwar die WEA durchaus kritisch, da das 2-Wochen WK Modell in meinen Augen nicht funktionieren kann, weil man in der Zeit maximal auf Stufe Kp üben kann, nicht aber auf Stufe Bat oder Gs Vb, was nach Aussage des Kdt Heer in Zukunft aber anzustreben wäre. Trotzdem ist die WEA wohl das einzige Mittel, um in der gegenwärtigen und für die Armee äusserst ungünstigen politschen Lage das mögliche und nötige für die Sicherheit des Landes zu tun. Logischerweise wäre es auch mir lieber, wir hätten ein Budget von 10 Mia, Vollausrüstung und den notwendigen politischen Support aus Bern. (Anm zur Botschaft WEA: Vollausrüstung ist bei der kämpfenden Truppe nur für die Inf Vb vorgesehen, nicht für die Pz und Art Vb.) Aber momentan heisst die Devise eben „make do with what you have“. Zudem glaube ich, dass sich in Zukunft die politische Stimmung im Land wieder zu unseren Gunsten wenden könnte, da mit dem russischen Vorgehen in der Ukraine und der Bedrohung durch die IS wohl auch der Hinterste und Letzte begriffen haben dürfte, dass das nach 1990 proklamierte „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) eben nicht eingetreten ist. Nüchtern betrachtet muss man also zum Schluss kommen, dass militärische Mittel nach wie vor zentrales Mittel der politischen Interessenwahrung sind. Alles andere sind Tagträumereien.
Wer sagt, die WEA orientiere sich an politischen Vorgaben, der gewichtet Urnenentscheide des Souveräns offensichtlich geringer als diejenigen in Bundesbern.
Der Haken an der WEA ist, dass sie die endgültige Eliminierung unserer Durchhaltefähigkeit (gerade im Bereich der Infrastruktur) zu erreichen versucht, indem man uns mit der Wiedererlangung einer Teilmobilmachungsfähigkeit lockt, die im historischen Vergleich und gemessen am Wohlstand unseres Landes auch bei gnädigster Betrachtung noch immer ein Armutszeugnis darstellen würde.
Wenn man künftig relativ rasch 30’000 Mann aufbieten kann, aber dahinter NICHTS nachrückt, ist das eben insgesamt auch schlechter, als wenn man zehn mal so viele Leute etwas langsamer aufbieten könnte. Letztlich müssen Milizsoldaten ja eher früher als später abgelöst werden. (Hat sich bei manchen Leuten in Bern das Denken in Nato-Berufsverbänden schon dermassen eingebürgert, dass dieser Umstand so konsequent missachtet wird?)
Der Armeegesamtbestand muss sich heute auch nicht primär an einer ‚mythischen‘ Generalmobilmachung orientieren, sondern daran, wie viele Ablösungen für eine realistisch eingeschätzte Teilmobilmachung vorhanden sein sollen. (Hier vertrete ich meine persönliche Einschätzung, nicht die von GG.)
Eventuell könnte man daraus sogar ableiten, dass tatsächlich nicht jeder Verband vollausgerüstet sein muss, sondern dass lediglich genug (Korps-)Material vorhanden ist, um ein TEILmobilgemachtes Kontingent trotz Verlusten und Verschleiss über mehrere Ablösungen hinweg VOLLausgerüstet im Aktivdienst halten zu können. Das wäre eine politisch zu entscheidende Abwägung zwischen Sicherheit und finanziellen Einsparungen.
Und wenn wir schon keine Mythologie betreiben wollen: das alte Mobilmachungssystem war gar nicht mal so teuer und sorgte dafür, dass der Kosten-Nutzen-Ertrag der damaligen Armee denjenigen der heutigen Armee tief in den Schatten stellt. Die oben vom Aufkl Of suggerierten 10 Milliarden pro Jahr sind natürlich nicht als ernste Wunschgrösse gemeint, müssen an dieser Stelle aber trotzdem klar als unrichtige Suggestion gebrandmarkt werden. Es entspricht nämlich dem rhetorischen Inventar der Armeeabschaffer, eine glaubwürdige Landesverteidigung pauschal als nicht finanzierbar zu bezeichnen, um damit den Weg in die totale Abhängigkeit und Selbstaufgabe ‚legitimieren‘ zu können. Gerade von einem Offizier erwarte ich, dass er nicht in so eine schlichtweg defaitistische Denkfalle reinstolpert. Und das „make do with what you have“ geziemt sich für die Truppe im Ernstfall, nicht aber für die politische Disskusion unter Bürgern in Uniform in unsicheren Friedenszeiten. Ich möchte damit weniger dem Aufkl Of persönlich an den Karren fahren, sondern stelle des öfteren fest, dass allzu viele Offiziere in der OS eine fatalistische Gehorsams- und Opferbereitschaftsmentalität verinnerlichen, die für den Ernstfall, nicht aber für die Erwartungshaltung eines aufgeklärten Bürgers gegenüber seiner Regierung gedacht sind.
Man kann es drehen und wenden wie man will: die Bestandeshalbierung bringt keine nennenswerten Einsparungen und die damit verbundene Schwächung des ‚Gesamtsystems‘ Armee lässt sich auch durch noch so gutgemeinte Wiederherstellung von bewährten Tugenden im Ausbildungs- und Mobilmachungsbereich ausgleichen.
Neben der Bestandeshalbierung orientiert die WEA sich noch an einer weiteren, sehr sehr fragwürdigen Grösse: Wer hat die völlig willkürliche Obergrenze bei den Diensttagen verlangt? (Ich glaube, der Gesamtbundesrat) Diese sind ja die Hauptursache dafür sind, dass man mit den zweiwöchigen WKs und der damit verbundenen ineffizienten Mehrbelastung für das Milizkader sehenden Auges die nächsten kapitalen Fehler begeht. Auch hier steht das Einsparpotential (bei einer Milizarmee!) in keinem Verhältnis zum Schaden, der damit dem ‚Gesamtsystem‘ zugefügt wird.
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