Perspektiven 2030 – Eine Analyse (Teil 1: Methodik und Wortwahl)

Perspektiven 2030 – Eine Analyse (Teil 1: Methodik und Wortwahl)

Der Bund hat viele grosse Pläne für die Zukunft. Doch dazu stellt man sich nicht selber die Zukunft vor, sondern man lässt sie sich vorstellen bzw. von Externen skizzieren. In ‘Perspektiven 2030’ hat eine breite Autorenschaft vier unterschiedliche Zukunftsszenarien (nicht Prognosen!) gezeichnet. Was würden diese Szenarien sicherheits- und armeepolitisch bedeuten, wenn sie denn eintreten würden? Ein Interpretationsversuch.

Dieser Text bietet eine mögliche Interpretation der ‚Perspektiven 2030‘ an. Es handelt sich also nicht um eine knappe Zusammenfassung (eine solche findet sich im Originaldokument). Für die Leserschaft unseres Blogs wird der Fokus v.a. auf die sicherheitspolitisch relevanten Punkte gelegt. Andere Inhalte (z.B. Umweltfragen) werden hier nicht im selben Mass thematisiert wie im Bericht.
1. ZUR METHODIK UND WORTWAHL IM BERICHT
Der Bericht will mit einem Mix aus Szenariotechnik und Trendanalyse „Planungsgrundlage für strategische Entscheide“ sein. Statt wie 1998 allzu selbstsichere „Prognosen“ zu erstellen, bedient man sich beim Bund diesmal also der Szenario-Technik. (Zu den Prognosen von 1998 siehe Beitrag von SRF.ch) Die Wahl der Szenariotechnik und damit das Angebot von mehreren Szenarien ermöglicht es, mehrere Zukunftsvorstellungen nebeneinander zu präsentieren. Dadurch kann ansatzweise dafür gesorgt werden, dass ‚für jeden etwas dabei ist‘. Dass die Studie von Beginn weg auf möglichst breite Akzeptanz ausgerichtet war, lässt die sehr lange (und ausgewogene) Liste von Experten, Think Tanks etc. vermuten, die für diese Studie zu Rate gezogen wurden. Doch wenn die Studie sich vor ‚gewagten, dafür klaren‘ Prognosen hütet, wie kann sie für Regierung und Behörden dann überhaupt noch Planungsgrundlage für strategische Entscheide liefern?
In den Perspektiven 2030 sind durchaus Handlungsempfehlungen auszumachen. Es offenbart sich z.B. rasch, dass die vier Szenarien nicht völlig neutral nebeneinander präsentiert werden, sondern beim Leser klare Vorstellungen geweckt werden sollen, welche er als Favoriten und welche er als ‚Schreckensszenarien‘ betrachten soll.
Aus sicherheitspolitischer Sicht begrüssenswert ist, dass die vier Szenarien vier verschiedene geopolitische Entwicklungen auf das Jahr 2030 hin als Ausgangsbasis verwenden. (Vgl. Abbildung 6, S. 69) Am Anfang steht eines Szenarios also die Annahme, ob die Weltpolitik eher von Asien, Amerika, oder multipolar geprägt wird.
20141220_Szenarien
Die beiden rot umrahmten „Szenarioachsen“ sind die „wirtschaftliche Vernetzung der Schweiz“ und die „Globale Technologisierung“. Auf S. 5 heisst es, dass das Wirtschaftswachstum [einzig?] auf „wirtschaftliche Vernetzung“ beruht. Als nicht-Ökonom dachte ich bislang, in der Wirtschaft geht es v.a. um Wettbewerbsfähigkeit. Aber die (erstrebenswerte) Zukunft ruht offenbar auf „wirtschaftlicher Vernetzung“. Was aber „wirtschaftliche Vernetzung“ genau bedeutet, wird im Dokument nicht gesagt. Wissen Sie es? Eine simple Google-Suche führt nicht etwa zu einer ‚akademischen online-Definition‘, dafür zu den Zeitungsartikeln über den letzten SP-Parteitag vom Oktober dieses Jahres. Dort predigten SP-Bundesrat Berset und Parteipräsident Levrat: „Die kleine Exportnation Schweiz braucht [wirtschaftliche] Vernetzung“. (Details siehe Link 1Link 2 und Link 3)
Es lässt sich nicht sicher feststellen, ob die Studie dasselbe Verständnis von „wirtschaftlicher Vernetzung“ hat, wie jene Partei, die offiziell den Kapitalismus überwinden will, oder ob Levrat dank der sehr breiten Studien-Autorenschaft den Schlüsselbegriff vorzeitig gesteckt bekommen hat und diesen im Rahmen der anti-Ecopop-Kampagne und mit Blick aufs Wahljahr flugs politisch besetzte.

 

Kommentare: 7

  1. P. Aebersold sagt:

    Offenbar hat es bereits Tradition, dass sich der Bundesrat für seine Wortwahl aus den Papieren der SP bedient, um mit einem “konsensfähigeren Begriff” (englisch: Spin) zum Volk sprechen zu können:
    “Der Bundesrat sprach erstmals im “Bericht 73″ von Sicherheitspolitik, wobei er den Terminus einem Positionspapier der Sozialdemokratischen Partei (SP) aus dem Vorjahr entnahm. Er bemühte sich dabei um eine konsensfähigere Bezeichnung. Bereits 1969 hatte der Begriff Gesamtverteidigung den bis dahin geläufigen Ausdruck Totale Landesverteidigung abgelöst. Bis 1999 bestanden Gesamtverteidigung und S. als Synonyme nebeneinander”. Quelle: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8679.php

  2. Fritz Kälin sagt:

    Der Vergleich drängt sich auf den ersten Blick auf, ist aber nicht wirklich angebracht.
    Die damalige SP bekannte sich zur Landesverteidigung, Neutralität und v.a. zur Milizarmee. Und der Bericht 73 bzw. die Gesamtverteidigungskonzeption war derart klug angelegt, dass sie von den meisten Zeitgenossen nie wirklich begriffen wurde. Die Welt war während des Kalten Krieges viel komplizierter, als sie im Nachhinein gern dargestellt wird.
    Zur “Gesamtverteidigung” (inkl. Totaler Landesverteidigung) ist eine militärgeschichtliche Dissertation im Entstehen begriffen. Darum möchte ich dazu jetzt nicht zu viel sagen.

    • P. Aebersold sagt:

      Ich zitiere aus: Christoph Breitenmoser: Strategie ohne Aussenpolitik: http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/Studien_zu_ZS-10.pdf
      “Entsprechend grösser schätzte die
      SP die Chancen für eine friedliche Entwicklung der Welt ein. Auf der Basis des Ziels der umfassenden Sicherheitspolitik – nämlich die „Friedenssicherung, weltweit und für das eigene Land“ – wurde eine
      klare Gewichtsverschiebung von der militärischen Landesverteidigung hin zu einer sozialstaatlichen Innenpolitik und einer aktiven, friedensfördernden Aussenpolitik postuliert.
      Bei der vor dem Hintergrund des Gleichgewichtes des Schreckens zu erfolgenden Lagebeurteilung stellte das SP-Leitbild fest, dass eine optimale Sicherung des Friedens und des Rechtes auf Selbstbestimmung
      durch militärische Anstrengungen allein nicht mehr gewährleistet werden könne. Die klassische militärische Verteidigung allein habe versagt. Ein Ausweg, so das Leitbild weiter, „muss primär von der Politik erschlossen werden“.

  3. Fritz Kälin sagt:

    Eben, damals ging es um Ausweitung über die rein militärische Landesverteidigung hinaus. Wenn damals eine “klare Gewichtsverschiebung” gefordert wurde, muss man sich im klaren sein, wie sehr damals in den Köpfen Landesverteidigung weitgehend mit der Armee gleichgesetzt wurde (zuweilen bis heute).
    Die beiden Komponenten der Gesamtverteidigung (ausgreifend und bewahrend) hätten sich in der Theorie ergänzen sollen, wurden aber oft antagonistisch gegeneinander ausgespielt.

  4. P.Aebersold sagt:

    Das Bekenntis der SP von 1972 zur Landesverteidigung war wohl ein blosses Lippenbekenntnis. Vier Jahre nach dem Einmarsch sowjetischer Panzer in Prag wäre eine Absage der SP an die Landesverteidigung wohl einem politischen Selbstmord gleichgekommen. Deshalb leitete man die Wende im SP-Militärpolitik mit dem neuen, unverfänglichen Begriff „friedenstrategische Sicherheitspolitik“ (Nomen est omen) ein und verweigerte der Armee gleichzeitig die finanziellen Mittel (!). Zitat Breitenmoser: „Andrerseits forderte dasselbe Leitbild aber eine glaubwürdige Armee (…). Dies wiederum ohne konsequenterweise die finanziellen Mittel dafür zu sprechen.“

  5. Fritz Kälin sagt:

    Und umgekehrt wurde arg beklagt, dass der Sicherheitspolitische Bericht gegenüber den SP-Ideen ein Lippenbekenntnis blieb…
    Der tatsächliche Einfluss der SP auf die materielle Ausstattung der Armee hielt sich im Kalten Krieg sehr in Grenzen bzw. sie blieb eine oppositionelle Minderheit gegenüber dem bürgerlichen Block. Damals (Corsair) wie heute (Gripen) hing der Erfolg von Beschaffungsvorhaben davon ab, ob das bürgerliche Lager dafür gewonnen werden konnte. Die Existenz einer ‘fundamentalen politischen Opposition’ kann man ja nicht als problematisch bezeichnen. Auch damals waren Landesverteidigung bzw. die Armee keineswegs eine «heilige Kuh». Mit diesem Schmähbegriff für die Armee versuchte die Linke hauptsächlich zu verschleiern, dass sie mit ihrer armeekritischen Haltung in der Bevölkerung eine chancenlose Minderheit war. Wer im politischen Geschäft regelmässig unterliegt, muss kreativ werden, um seine Wählerschaft bei der Stange zu halten…
    Dafür bewirtschaftete die politische Linke ‘gesellschaftliche’ Armeefragen (Zivildienst, Fragen von Gehorsam, Disziplin etc.) mit grösserer Wirkung. Doch das waren Herausforderungen, denen sich die Milizarmee seit den Tagen von Ulrich Wille auch ohne deren politischen Bewirtschaftung durch Parteien fortwährend stellen musste – und die sie letztlich ja auch immer gemeistert hat. Ich wage zu behaupten, dass die Armee heute weniger Disziplinprobleme hat als in der zweiten Hälfte des Kalten Krieges, als die Bedrohungslage eigenltich für alle offensichtlich war.
    Man muss sich damit abfinden, dass man der Politik nicht vorschreiben kann, wie viele Mittel “konsequenterweise” bzw. aus rein militärischer Sicht für die Landesverteidigung aufgewendet werden sollen.
    Dass ein Kleinstaat durchaus eine glaubwürdige und v.a. die regionale Friedensordnung sützende Landesverteidigung ‘sich leisten kann’ UND parallel Infrastruktur, soziale Werke, Bildung, Forschung, etc. etc. auf ein international beneidenswertes Niveau gebracht werden können, das hat die Schweiz im Kalten Krieg bewiesen.
    Aber deswegen bedeutet der Einsatz für eine vernünftige Landesverteidigung auch – und gerade – in der heutigen, ‘reichen’ Schweiz einen undankbaren Spiessroutenlauf durch die Politik. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn die bürgerlichen Parteien im Wahljahr 2015 wenigstens in der Sicherheitspolitik noch ein klar von der Linken abgrenzbares Profil an den Tag legen würden.

  6. P. Aebersold sagt:

    Das Argument von der machtlosen “oppositionellen Minderheit gegenüber dem bürgerlichen Block”, taucht immer dann auf, wenn es klar geworden ist, dass die “Linken aller Parteien” seit jeher gegen Armeekredite gestimmt haben und damit den Tatbeweis der Armeefeindlichkeit geliefert hat. Vom “bürgerlichen Block” ist mittlerweile soviel abgebröckelt, dass er kaum mehr wahrnehmbar ist. Das beste Beispiel dafür ist wohl die Bundesratswahl.

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