Perspektiven 2030 – Eine Analyse (Teil 2: Inhalte der Szenarien: "Überholspur")
DIE [aus sicherheitspolitischer Sicht] AUSSAGEKRÄFTIGEN INHALTE DER 4 SZENARIEN
[Szenario 1] Überholspur
Diese Welt ist von Multilateralismus, Globalisierung und wirtschaftliche Interdependenz geprägt. (Das Letzte klingt immerhin ähnlich wie „wirtschaftliche Vernetzung“.] Das Wirtschaftswachstum generiert die nötigen finanziellen Mittel, um die damit verbundenen (Ressourcen-)Probleme zu lösen. Hiermit will man offensichtlich den üblichen Antagonismus von ‚wirtschaftsfreundlich versus umweltfreundlich‘ überwinden. Eigentlich der geld-grüne Traum eines jeden Grünliberalen: ‚Wirtschaftswachstum löst Umweltprobleme‘.
Die Schweiz ist durch den Abbau von Handelshemmnissen im Rahmen der WTO wirtschaftlich stark vernetzt. Für Forschung und Unternehmen ist sie ein attraktiver Standort. Ob sie das auch für ihre (Ur-)Einwohner auch ist? Zu den Einwohnern des Landes heisst es lediglich, dass diese „aufgrund von Wohlstand und Handel zu hoher internationaler Mobilität neigen“. Die Schweizer verlassen also ihr Land, ihr vertrautes Umfeld, ihre Angehörigen etc. freiwillig, weil es ihnen so gut geht? Bislang scheint es ja eher so zu sein, dass Millionen von Menschen eine ‚internationale Mobilität‘ an den Tag legen, weil es ihnen daheim nicht gut geht – pardon, weil sie die Chancen der offenen Grenzen begeistert ergreifen!
Apropos Wohlstand: dieser werde in der Schweiz dann „zunehmend ungleich verteilt“ sein. In der vermeintlich ‚besten zu erhoffenden Zukunft‘ für unser Land wird eine zunehmende Ungleichverteilung des Wohlstandes als geradezu selbstverständlich dargestellt. Ob die SP auch das unter „wirtschaftlicher Vernetzung“ versteht?
Geopolitische Machtverhältnisse bei [1]: „Zur Lösung globaler Probleme entsteht ein System von globaler Gouvernanz. […] Die Stellung und die Einflussmöglichkeiten der Schweiz im internationalen Kontext haben sich verbessert.“ Auf S. 54 wird noch kurz eingeräumt, dass dieses Szenario mit Souveränitätsverlust für die Schweiz einhergeht (erhöhter Druck, internationale Rechtsgrundlagen zu übernehmen). In der Zusammenfassung erfährt der Leser: „Wird das System globaler Gouvernanz gestärkt, so verbessert sich die Sicherheitslage dank internationaler Stabilität. Wird das System globaler Gouvernanz geschwächt, so kann die Schweiz immer noch ihren Einfluss als Vermittlerin und Brückenbauerin nutzen.“ Selber muss die Schweiz für ihre eigene Sicherheit offenbar nichts mehr tun.
Wieder schweigt sich das Dokument gegenüber dem Laien darüber aus, was der Schlüsselbegriff „globale Gouvernanz“ denn genau bedeutet. Die nächste Google-Suche führt uns wenigstens nicht auf einen weiteren SP-Parteitag, aber rasch zu dem, wovon linksrote Sicherheits- und Aussenpolitik schon seit Jahrzehnten träumt. Es wird bezüglich „global governance“ zwar von kooperativer, multilateraler Gestaltung der Globalisierung gesprochen. Bei dieser Ordnung will man aber ohne formal berechtigte und mit dem Gewaltmonopol ausgestattete Träger auskommen. Dass in so einer Welt nationalstaatliche Armeen als Anachronismus gesehen werden, versteht sich von selbst. Mit Blick auf die weltweiten Rüstungsanstrengungen scheint sich diese Weltsicht ausserhalb Europas nicht wirklich durchzusetzen. Aber für all diejenigen, welche die Existenz von Streitkräften nicht als Folge, sondern als Ursache für Konflikte sehen, stellt eine ‚globale Gouvernanz‘ eine verheissungsvolle Vorstellung dar.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt bei [1]: Eine gute Wirtschaftslage soll die Mittel generieren, „mit denen der Sozialstaat dem entstandenen Wohlstandsgefälle in der Schweiz begegnen kann.“ Die Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt kommt voran.
Eine Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts infolge Vernetzung und Wirtschaftswachstum wird in der Zusammenfassung sogleich auch als Chance bezeichnet, ohne dass an dieser Stelle eine Begründung dafür ersichtlich wäre.
Aber vielleicht ist es genau das, was sich die SP an ihrem Parteitag von „wirtschaftlicher Vernetzung“ für die Zukunft erhofft? Mehr Steuereinnahmen, die dann von ihr umverteilt werden können. Klingt aber irgendwie mehr nach wirtschaftsliberalen Versprechungen als nach ‚Überwindung des Kapitalismus‘… Insbesondere, wenn man nun auf die ‚Sieger- und Verliererliste‘ blickt.
[Ausgesuchte] Gewinner bei [1]: Internationales Genf und Metropolitanregionen; „Menschen mit Bildung, interkulturellen Kompetenzen sowie hoher Anpassungsfähigkeit und Mobilität“. [Man könnte auch von ‚freiwillig Entwurzelten‘ sprechen, bei denen ökonomischer Opportunismus über jeden Rest von Gemeinschaftsgefühl und Identität triumphiert hat.]; Frauen, weil sie noch mehr am Arbeitsmarkt teilnehmen dürfen; „Einkommensstarke Bevölkerungsgruppen“.
[Ausgesuchte] Verlierer bei [1]: Betriebe, die sich schlecht an „neue internationale Standards“ anpassen können; „Bevölkerungsgruppen, die durch den digitalen Graben abgeschnitten sind.“ Weitere Verlierer sind Menschen mit schlechter Bildung, „geringer Anpassungsfähigkeit“* und wenig Einkommen.
* Inwiefern mit „Anpassungsfähigkeit“ der demütige Verzicht auf verfassungsmässig garantierte Rechte und historische gewachsene Identität gemeint ist, müsste man noch gesondert untersuchen.