Perspektiven 2030 – Eine Analyse (Teil 6: Konklusion)

Perspektiven 2030 – Eine Analyse (Teil 6: Konklusion)

GESAMTEINDRUCK
Man wird den Eindruck nicht los, dass der Bericht weniger die ferne Zukunft als die gegenwärtige, innenpolitische Diskussion vor Augen hat. Die Hauptsorge scheint, dass die nationale Politik mit Rücksicht auf Sorgen der Bevölkerung um ‚zu viel‘ Einwanderung oder ‚zu viel‘ Umweltbelastung Entscheide fällen könnte, welche nicht im uneingeschränkten Interesse der international ausgerichteten Wirtschaft liegen. Die für wirtschaftliches Gedeihen notwendige Sicherheit soll im Idealfall (Szenario ‚Überholspur‘) nicht mehr durch den Staat und sein Gewaltmonopol gewährleistet werden, sondern dadurch, dass sich alle Staaten mehr oder minder freiwillig einer supranationalen Weltordnung unterordnen, in der der Frieden dadurch ‚garantiert‘ wird, dass ihn niemand bricht.
ALTERNATIVE LESART DER SZENARIEN
Das erste ‚Idealszenario‘ könnte bzw. müsste auch folgende Merkmale haben: eine globale Weltordnung, der sich theoretisch auch die Amerikaner freiwillig unterordnen müssten; der Staat gibt sich selber auf zugunsten einer ‚total vernetzten‘ Wirtschaft. Diese ist ein Paradies für reine Ökonomieopportunisten. Für den Rest wird der Staat zum blossen Almosenverteiler. Für ‚äussere‘ Sicherheit sorgt entweder die Pax Americana oder eine extrem friedliebende, selbstentwaffnete Staatengemeinschaft. Staatliche Gewaltinstrumente dienen wohl höchstens noch im Innern dazu, die Kontrolle über die erwarteten Verlierer zu behalten. wobei man wohl tendenziell auf grenzmissachtende bzw. ‚vernetzte‘ Überwachung setzt, um möglichst früh und gezielt störende Individuen zu finden und isolieren, bevor sie andere mobilisieren.
In der Beschreibung aller vier Szenarien offenbart sich, dass man den gesellschaftlichen Zusammenhalt für etwas hält, das sich völlig abhängig von äusseren Entwicklungen entwickelt, nicht für ein erstrebenswertes Ziel, für das die nationale Politik massgebliche Verantwortung trägt und worauf sie auch Einfluss nehmen kann. Dies passt in den Grundtenor des Berichts, welcher die Handlungsfähigkeit der Landespolitik darauf reduzieren will, für die komplette Einbindung der Schweiz in supranationale Strukturen zu sorgen, wovon man sich für die Wirtschaft grösstmögliche Handlungsfreiheit erhofft. Weder die Verantwortung der Landespolitik noch ihre Handlungsoptionen, um Chancen besser zu nutzen und Risiken besser zu senken, werden in der Zusammenfassung erwähnt. Nun könnte man sagen, dass dies auch nicht Aufgabe des Berichtes ist. Aber indirekt enthält Perspektiven 2030 eben doch eine klare Handlungsanweisung an die Politik: der Staat soll für eine möglichst hohe „wirtschaftliche Vernetzung“ sorgen. Wenn man sich erkundigt, was das bedeuten könnte, klingt es v.a. nach einer Verklausulierung für (neo-)liberale laissez-faire-Politik. Damit würden dem Staat Steuerungsmöglichkeiten entzogen. Aber offenbar ist man nicht besorgt, damit die politische Linke im Land zu Kritik anzustacheln. Sonst würde „wirtschaftliche Vernetzung“ kaum zum neuen Allesnichtssagenden Slogan der sogenannt sozialdemokratischen Partei. Deren Anliegen scheint man v.a. mit altbekannten Glaubensbekenntnissen gegenüber Umweltfragen und der Aussicht auf mehr Umverteilung dank mehr Ungleichheit‘ Genüge tun zu können. Im Gegenzug gibt sie ‚der Wirtschaft‘ Schützenhilfe bei ihrem Kampf gegen all das, was der gemeine Bürger zuweilen unter einem funktionierenden, souveränen Staatswesen aus freien, mündigen Bürgern versteht.

 

Kommentare: 4

  1. Danke für die erhellende Konklusion!
    Der freie Markt ist immernoch das zweitbeste System zwischenmenschlicher und zwischenstaatlicher Interessenausgleichs (das beste wird seit Menschengedenken gesucht). Doch die ‘Perspektiven 2020’ gründen auf einem Weltbild, das den Markt quasireligiös zum Dogma erhebt: Statt ‘Ökonomieopportunismus’ müsste eigentlich ‘Ökonomiefundamentalismus’ stehen. Im Dritten Reich hing in vielen Amtsstuben der Spruch: ‘Du bist nichts, die Nation ist alles’. Nun soll es wohl heissen: ‘Du bist nichts, die Ökonomie ist alles’. Braut sich da eine Unheilige Allianz zwischen Ökonomie- und Sozialfundamentalisten zusammen: ‘Komplette Einbindung der Schweiz in supranationale Strukturen’, was nicht anders denn als Staatsstreich gegen den Volkssouverän bezeichnet werden kann.

  2. P.Aebersold sagt:

    Die “Unheilige Allianz” erinnert an die Politik der leeren Kassen in den 1990ern im Kanton Zürich: Mit der neoliberalen Verwaltungsreform des New Public Management (NPM) bot sich endlich die Möglichkeit für die Linke, aus der Defensive herauszukommen, und statt immer nur defensiv auf Privatisierungspläne der Weniger-Staat-Ideologen zu reagieren und mit aufgeschlossenen Exekutivmitgliedern (u.a. Ernst Buschor) eine “Koalition der Modernen” einzugehen. > siehe Alessandro Pelizzari: Die Ökonomisierung des Politischen.

  3. fritz kälin sagt:

    Danke für die guten Kommentare.
    Als weiterführenden Denkanstoss zur Thematik ein Interview:
    http://www.deutschlandfunk.de/kapitalismus-alles-kommt-einmal-zum-ende.1184.de.html?dram:article_id=313737
    “[…] Was ich über den Nationalstaat sage, da sage ich nur: Unsere demokratischen Rechte sind heute auf nationalstaatlicher Ebene institutionalisiert, woanders gibt es sie nicht. Und deshalb müssen sie da genutzt werden. Das heißt nicht, dass das jetzt die Lösung für immer ist, aber die jetzt wegzugeben dafür, dass irgendein europäisches Parlament da irgendwelche Beschlüsse macht – das kann ich nicht raten. Die sind zu verteidigen. […]”
    Gemäss Perspektivenstudien-Szenario 1 muss es ‘immer so weiter gehen’ bis schliesslich das sich selbst erhaltende Globalsystem entsteht, in dem die Verlierer sich unterwürfig von den Gewinnern aushalten lassen. Für den nicht auszuschliessenden Fall, dass ein Bruch auf dem Weg dorthin erfolgt (die Verlierer finden sich nicht in der für sie vorgesehenen Rolle ab), ist anzunehmen, dass die Schweiz aufgrund ihrer “wirtschaftlichen Vernetzung” dieselben Probleme in abgeschwächter Form abbekommen, aber dank ihres bis heute unerreicht hoch entwickelten politischen Systemstens (direkte Demokratie) tendenziell besser ‘verdauen’ wird. Sie kann sich auf ihrer kleinstaatlichen Achse rascher drehen und anpassen als andere. Es wird also wieder eine relative Sicherheit bei uns geben, in der innerhalb unserer Grenzen im Vergleich zum Umfeld eine weniger schlimme, aber noch immer herausfordernde Situation entstehen wird.
    Ob eine Armee in so einer Situation eine stabilisierende, deeskalierende Funktion ausüben kann, oder selber die Problematik verschärft, hängt fundamental davon ab, wie sie organisiert bzw. wie gut sie in der Bevölkerung verankert ist. Unsere Milizarmee stellt für solche Zeiten die bestmögliche Form dar – nicht umsonst ist sie in unserer Verfassung verankert. Dem Milizprinzip als friedenserhaltende Kraft der Armee ist deshalb im Zweifelsfall immer der Vorzug zu geben z.B. vor waffentechnologischen Akquisitionen, welche im Kriegsfall vielleicht mehr operative Ambitionen wecken, aber deren Beschaffung und Unterhalt nur auf Kosten der ‘kritischen Milizmasse’ erfolgen kann.

  4. Fritz Kälin sagt:

    Nicht nur in der Schweiz versucht man sich, die Zukunft auf eine für die staatliche Planung wegleitende Art vorzustellen…
    http://www.dersoldat.at/europaeische-verteidigungsagentur
    Auch hier wurde mit 4 Szenarien gearbeitet und auch hier ist das erste zugleich das ‘schönste’ Szenario: eine friedliche Welt in der die USA die unangefochtene Supermacht sind. (Das Szenario wird als “Die Welt Kants” übertitelt – dabei ist in Kants ‘Ewigen Frieden’ von keinen Hegemonen die Rede, sondern von einer Weltordnung, in der mit sich selbst zufriedene Republiken mithilfe milizähnlicher Defensivarmeen ihre eigene Sicherheit gewährleisten, ohne für ihre Nachbarn eine Bedrohung darzustellen.)
    Auch die übrigen 3 Szenarien erinnern stark an diejenigen der “Perspektiven 2030”-Studie.
    Dass man in Brüssel und in Bern Zukunftsstudien erstellt, welche zufällig mit jeweils 4 ähnlichen Szenarien arbeiten, grenzt an einen ‘gesamteuropäischen Zufall’.
    Aus den 4 Szenarien werden übrigens die ‘Fähigkeitsbedürfnisse’ für die Streitkräfte aller 28 EU-Staaten abgeleitet.
    Hier das Ganze in ausführlicher Form bzw. im üblichen, ermüdenden EU-Englisch:
    https://www.eda.europa.eu/docs/documents/CDP_brochure

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