Rede des NATO Generalsekretärs und Replik

Rede des NATO Generalsekretärs und Replik

Aus seiner Rede (Hervorhebungen: Giardino):

We have succeeded in bringing the European family together.  We have put in place the structures that allow us to live in freedom, peace, and in safety.  And we are very close to building a Europe that is whole and free. […]
During the Cold War, it is fair to say that Europe was largely seen as a security consumer.  Since then, however, European nations have become important security providers. Today, more European troops are deployed on international operations than ever before – on NATO-led operations in Afghanistan and in Kosovo; in the Mediterranean; and off the coast of Somalia.  At the same time, many European nations have troops deployed on other operations, led by the United Nations, or by the European Union. […]
In response to this dramatic change in our security environment, NATO has changed too.  We have taken action well beyond our borders to defend our values and our security.  We are making our military forces more flexible, and more deployable. […]
Your armed forces have also benefited from these deployments, and from working shoulder-to-shoulder with NATO and other partner forces.  They have been an important driver behind your force modernisation.  They have helped you to adopt NATO standards and procedures which facilitate greater cooperation with your neighbours. […]
But our partnership goes much further, and deeper, than operations. […]
Quelle: nato.int

Weitere Quellen: nzz.ch
Kommentar Giardino:
Vielleicht ist dem NATO-Generalsekretär entgangen, dass Europa sich momentan eher auseinander bewegt als zusammen. Vielleicht ist ihm auch entgangen, dass die Kriminalität in der Schweiz steigt.
Bitte schauen Sie sich zum Thema NATO auch den Videobeitrag an.
 
Herr Gotthard Frick hat uns freundlicherweise seine eigene Replik zur Publikation freigegeben:
Eine unabhängige, selbstbewusste, neutrale und weltoffene Schweiz steht nicht abseits!
Der Generalsekretär der NATO, A.F. Rasmussen, hielt an der Universität Zürich (siehe NZZ 23.11.2012) eine Rede, in der er meinte, die Schweiz müsse mit der NATO zusammenarbeiten, damit sie nicht abseits stehe. Dieser Meinung muss widersprochen werden.
Die Welt ist im Umbruch. Eine neue Weltordnung ist im Entstehen. Wie sie aussehen wird, ist noch offen. Idealerweise wird sie aus einigen Supermächten bestehen, die zu einem globalen Gleichgewicht der Kräfte beitragen, wie es Europa einige Jahrhunderte lang kannte. Die USA werden weiterhin eine der Supermächte bleiben. Russland wird möglicherweise wieder dazu stossen. Es wäre erwünscht, dass auch China zum erlauchten Kreis gehören wird.  Vorher muss es noch seine gigantischen inneren Problem lösen, sonst wird es daran zerbrechen. Bestehende oder möglicherweise noch entstehende Mittelmächte wie zum Beispiel Japan, Indien, Brasilien, Australien, Südafrika werden genügend Gewicht haben, um im engeren Kreis mitzureden. Ob Europa weltpolitisch zu einer eigenständigen, ernst zu nehmen Macht wird oder ob die meisten seiner Staaten weiterhin als Planeten um die amerikanische Sonne kreisen, ist heute noch offen.
Alle diese grösseren und alle die anderen, hier gar nicht erwähnten mittleren und kleineren Staaten sind Machtzentren, sind Parteien, die auf der Weltbühne ihre eigenen Interessen verfolgen. Die NATO ist das Machtmittel  einer zwar grossen, aber eben nur einer dieser Parteien. Sie hat die Interessen der USA und, soweit mit deren Ansprüchen vereinbar, generell die des Westens durchzusetzen. Sie tut das, wie wir gesehen haben, auch mit Krieg, wobei zu dessen Rechtfertigung die von Herrn Rasmussen bemühten hehren Gründe genannt werden: unsere Sicherheit und Werte – Freiheit, Demokratie und Respekt für die Menschenrechte – zu verteidigen und weiter zu verbreiten, die lybische Zivilbevölkerung zu schützen, Afghanistan zu befreien, den befreiten Völkern im Mittleren Osten die Hand zu reichen, die friedliche Entwicklung Kosovos zu unterstützen usw.  Gemäss Rasmussen muss die NATO bereit sein, sich über die Grenzen der westlichen Welt hinaus zu engagieren.
Die Bandbreite dessen, für was diese „Werte“ stehen, ist enorm.  Je nach der Interessenlage der USA und des Westen (Gefährdung sprudelnder Ölquellen oder sich über Jahrzehnte hinziehende, schleichende Annexion eines Landes durch seinen Nachbarn) werden Argumente wie Menschenrechte, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Schutz der Zivilbevölkerung, etc. zur Begründung von Interventionen herangezogen oder man schaut weg.
Es ist offensichtlich, dass diese Politik mit den Interessen anderer Mitspieler auf der Weltbühne im Konflikt steht.  So hat zum Beispiel Russland sehr deutlich gesagt, dass es die Sicherheitspolitik der NATO als Bedrohung empfinde und hat mit einseitigen militärischen Massnahmen gedroht. Und in der Global Times, einer führenden chinesischen Parteizeitung, konnte man im November 2011 lesen, dass, obschon weder die USA noch China einen Krieg auslösen wollten „ein militärischer Konflikt unvermeidlich sei, falls Chinas zentrale Interessen … verletzt würden“(“if China’s core interests such as its sovereignty, national security and unity are intruded on, a military conflict will be unavoidable”).  Deshalb rüstet China massiv auf. Kaufkraftmässig übertreffen seine Verteidigungsausgaben bereits diejenigen der USA
Wahrscheinlich sind sich nur wenige Schweizer bewusst, wie positiv die meisten Menschen in allen Weltteilen unser Land sehen.  Sie durchschauen die wahren Motive der Staaten. Sie wissen, dass immer handfeste Eigeninteressen hinter den militärischen Interventionen stehen und sie würdigen deshalb die Schweiz als friedliebendes, neutrales Land, dessen Volk aber bereit ist, seine Unabhängigkeit und Werte zu verteidigen. Als ein ca. 55-jähriger chinesischer Architekt den Verfasser vor einiger Zeit  in der U-Bahn Beijings  fragte, woher er komme, platzte es nach der Antwort aus ihm heraus: „Ah, die Schweizer, das friedliebendste Volk der Welt, aber jeder Mann, jede Frau ist bereit, Unabhängigkeit und Freiheit zu verteidigen“. Fast jeder Taxichauffeur zeigt mit dem Daumen nach oben, wenn er hört, der Fahrgast sei Schweizer. Viele sind sich bewusst, dass der Weltfriede gesichert wäre, folgten alle Länder unserer beispielhaften Aussenpolitik:  Grundsätzlich nie an Kriegen teilnehmen, aber wenn man selber angegriffen wird, entschlossen kämpfen.
Welche Aussenpolitik soll unser Land in dieser Phase des Umbruchs verfolgen?
Wir haben ein weltweit einmaliges demokratisches System und ein wunderschönes, gut funktionierendes Land. Mit der Hälfte der Bevölkerung Beijings, ohne Rohstoffe und ohne Zugang zum Meer, sind wir eine der führenden Wirtschaftsmächte. Die Schweiz soll und darf auf der internationalen Bühne als unabhängiges, strikt neutrales, selbstbewusstes (aber nicht überhebliches und arrogantes),  nach allen Seiten offenes und dem Frieden verpflichtetes Land auftreten.
Als Besitzer der Alpentransversalen halten wir ein Element in der Hand, das von gesamteuropäischer strategischer Bedeutung ist. Mit den Alpen haben wir auch noch ein militärisch leicht zu haltendes Bollwerk. Unsere Aufgabe ist es, unser Land mit allem, wofür es steht, auch seine Unabhängigkeit und territoriale Integrität, einschliesslich der zentralen europäischen Nord-Süd-Verbindungen, auch im Interesse des Westens und besonders Europas, mit einer starken Landesverteidigung aus eigener Kraft zu erhalten.
Diese Freiheit von Bindungen an eine der Parteien gibt uns einen ganz besonderen Status in der Welt. Die Schweiz kann auf der Weltbühne dort aktiv  werden, wo andere wegen ihrer Bindungen nicht zugelassen werden oder sogar Konflikte auslösen würden.
Glaubt man den Ausführungen des NATO-Generalsekretärs, so will die Schweiz den Dialog und die Zusammenarbeit mit der NATO weiter ausbauen. Das dürfen wir nicht zulassen! Es entspricht weder unserem Staatsverständnis noch der Aufgabe der Schweiz in der Welt.
Gotthard Frick, Bottmingen
 

 

Kommentare: 5

  1. Willy Stucky sagt:

    Herzlichen Dank, Herr Frick, für ihre klaren Worte!
    Die Verdienste der NATO sind unbestritten: Jeder ernst zu nehmende Zeitgenosse, der den kalten Krieg erlebt hat, ist wohl überzeugt, dass die NATO die WAPA-Staaten mit grösster Wahrscheinlichkeit daran gehindert hat, Westeuropa unter Kontrolle zu bringen. Was mich aber ärgert bezüglich der ewig gleichen Leier à la Rasmussen ist der unterschwellige Vorwurf an unsere Adresse, dass wir lediglich Trittbrettfahrer gewesen sei und uns nun allmählich besserten, was für gewisse Kreise in unserem Land leider pures Honiglecken ist. Ein gewichtiger Teil unserer Eliten ist nicht willens, wenn nicht gar ausserstande, unseren Standpunkt ebenso klar und deutlich festzuhalten wie die Mitglieder der NATO den ihren. Natürlich ist unser Standpunkt schwer zu verstehe. Aber wir dürften vielleicht auch mal in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass die NATO nicht wegen der Schweiz gegründet wurde und dass auch ihr Weiterbestehen mit unserer Politik nichts das geringste zu tun hat.

  2. Fritz Kälin sagt:

    Einmal mehr erinnert uns Herr Gotthard Frick daran, dass es sich lohnt, für die Schweiz und ihre Armee einzustehen.
    Auch ich möchte gerne zum Wortlaut von Rasmussens Rede auf http://www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_91490.htm?utm_source=twitter&utm_medium=smc&utm_campaign=121123+churchill+symposium&utm_term=sg&buffer_share=70365 eine Interpretation beisteuern:
    Churchills Rede in Zürich 1946 blickte nicht nur zurück auf den Zweiten Weltkrieg, sondern sie blickte voraus auf die sich verschärfende Konfrontation zwischen (atheistischem) Kommunismus und all dem, was Europa gegenüber dieser Bedrohung eine gemeinsame Identität verleiht.
    Erst spät und nur ganz kurz erwähnt Rsmussen in seiner Rede die eigentliche raison d’être der NATO: “the menace of the Soviet Union” und geht gleich im nächsten Satz über zu den Balkankriegen, in welchen die NATO sich neu erfand. “Europe is now able to play a greater security role both within our borders, and beyond them.” Die uns derzeit beunruhigenden Entwicklungen innerhalb Europas spricht er nicht an.
    Genau lesen lohnt sich. Welche historischen Zusammenhänge betont er und welche blendet er bewusst aus? Was sind seine Motive? Geht es vielleicht darum, dass Streitkräfte, die “more flexible, and more deployable” geworden sind, keine Antwort auf jene (ungenannten) Gefahren innerhalb Europas sind?
    “We must show greater readiness to engage beyond our borders.” Spricht hier ein neues, geeintes und starkes Europa oder ist es ein Europa, dass lieber seiner einstigen Dominanz nachtrauert, statt sich ernsthaft seiner inneren Probleme anzunehmen?
    Offenbar halten es unsere Nachbarn für angebrachter, “beyond their borders” ihre schrumpfende militärische Überlegenheit zu demonstrieren, statt endlich die drängenden Integrationsprobleme in ihren eigenen Vorstädten anzugehen. Damit auch linkspolitisch gesinnte Leser unseres Blogs realisieren, warum das ‘nicht gut’ ist: Europa folgt damit einer ähnlichen verkehrten Grundlogik wie das einstige Apardheidregime. Der Frieden in Europa hängt nicht von Bataillonen am Hindukusch ab, sondern davon, dass die wachsenden sozio-ökonomischen Probleme in Europa endlich auf demokratisch legitimierte Weise gelöst werden.

  3. Willy Stucky sagt:

    Genau, Herr Kälin. Rasmussen kaschiert geschickt die entscheidenden Punkte. Aber dies gehört zu seinem Standpunkt. Das Verrückte an der Sache ist jedoch, dass seine Zuhörer/-innen an der Universität Zürich diesen simplen Umstand wohl mehrheitlich gar nicht bemerken: Die Schweiz hat ein Problem – nicht Rasmussen und seine NATO! Die Schweiz lässt sich von ihren eigenen marxistischen Historikern vorführen, und zwar bis hinauf zur Mehrheit unserer Landesregierung.

  4. Stelzer Willy P. sagt:

    Gottfried Frick weist unter anderem darauf hin, dass wir mit den Alpen ein leicht zu haltendes Bollwerk haben. Wenn wir dieses so erhalten wollen, dann ist der Bundesrat unverzüglich aufzufordern den Plan zur Aufhebung des Waffenplatzes Andermatt, Gebirgstruppen, ersatzlos zu streichen. Einmal aufgegebene Waffenplätze oder Flugplätze sind so unwiederbringlich verloren wie die soeben vernichteten 365 Spz 63/89 ex Turtmann.

  5. Hans Ulrich Suter sagt:

    Muss man einen Vortrag kommentieren, der an einer U… gegeben wird, die NATO-Generäle einlädt und Nationalräte rauswirft? Ja leider schon, jedenfalls wenn es die eigene Alma Mater ist…. Es wurde schon gesagt, dass der NATO-General (ich insistiere diese Bezeichnung brauchen zu dürfen) bewusst ignoriert, warum wir “im Abseits” stehen. Morgen dürfen wir das 200jährige der Schlacht an der Beresina (26. bis 28. November 1812) feiern. In dieser Schlacht haben unsere Vorfahren nicht im Abseits gestanden sondern eher in der Verteidigung und dabei 1000 Mann verloren. Ich erspare uns die Details, ich finde den Landkrieg zur napoleonischen Zeit auch schrecklich langweilig (ihr wisst schon: Haufen bilden gegen Kavallerie, verteilen bei Artilleriebeschuss, wichtig möglichst schnell nachladen: Und schon wisst ihr mehr als die meisten damaligen Offiziere). Nach diesem Vorfall und nach längerem Nachdenken (bis etwa 1850) hat man beschlossen von nun an im Abseits zu stehen (v.a. wenn Europäische Generäle, egal ob sie sich Marechals, König, Kaiser, Feldmarshall, Obersturmbannführer oder NATO-Generaldirektor nennen, rufen). Unsere Generation, die Schlachtfelder in sicherem zeitlichen Abstand, den Feind aber als Luftballon, Markierband oder als Symbole auf einer 1:25000 Landkarte kennt, die Beschuss als “friendly fire”, bzw. gar nicht kennt (wenn ihr in einem Kino übrigens Gelegenheit habt “Private Ryan” zu sehen, so sind die ersten 20 Minuten sehr instruktiv um einen Eindruck zu gewinnen, geht aber danach bitte hinaus, weil danach macht der Hauptdarsteller so viele militärische Fehler das was hängenbleiben könnte), sollte auch den folgenden Generationen das Abseitsstehen ermöglichen. Von uns muss nämlich keiner mehr an die Beresina, auch nicht der Rasmussen, denn wir sind zum Glück zu alt dafür. Wenn ich jetzt übrigens sage, dass obiges nicht mehr an der U…. gelehrt wird, dann erstaunt das nicht, oder?

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