WEA: Unterschätztes Projekt

WEA: Unterschätztes Projekt

Das Wahljahr 2015 kommt ungelegen für eines der wichtigsten Projekte der Schweiz. Es geht dabei um die «Weiterentwicklung der Armee». Hinter diesem Ablöschertitel verbirgt sich eine tiefgreifende Armeereform, mit der sich gegenwärtig der Ständerat in seiner Fachkommission beschäftigt. Wichtige Grundsatzfragen, die das Überleben der Schweiz und ihrer Werte in der Katastrophe betreffen, könnten unbeantwortet bleiben. Der Grund dafür ist einfach: Eine vertiefte öffentliche Auseinandersetzung damit verspricht keine kurzfristigen Wahlerfolge. Dieser Umstand birgt Gefahr. Die Minderheit jener, die sich mit der aktuell ungünstigen globalen Entwicklung auf sicherheitsstrategischer Ebene auseinandersetzt, sollte sich deswegen allerdings nicht entmutigen lassen. Allzu durchsichtig ist hierzulande das Beiseiteschieben dieser Überlebensfrage. Erkennen und Aussprechen ungenehmer Realitäten provoziert Krach, den zu umgehen kurzfristig Erfolg versprechend erscheint. Erfahrene Militärs können damit ebenso umgehen wie gewiefte Sicherheitspolitiker. Sie wissen, dass Soldaten im Frieden ein unangenehmer Stör- und Kostenfaktor sind; in Zeiten von Unsicherheit und Bedrohung gewinnen sie rasant an Anerkennung.
von Beni Gafner, BaZ Redaktor

Übergeordnete Merkmale der aktuellen Ausgangslage gilt es dabei zu beherzigen. Westeuropa und damit die Schweiz sind glücklich darüber, nach den letzten beiden Weltkriegen einen gewaltigen Lernprozess hinter sich zu haben. Man ist glücklich darüber, den Frieden über alles zu stellen, das Menschenleben als höchstes Gut zu betrachten und Wohlstand in weltweiter Offenheit anzustreben. Ein Rückfall in Zeiten, in denen totalitäre Regimes die Begriffe «Ehre» und «Opfer» in schlimmster Weise missbraucht haben, kommt nicht infrage. Gleichzeitig gilt es ebenso nüchtern zu erkennen, dass der beste Fall nicht eingetreten ist, nämlich die Ausdehnung des europäischen Friedenswillens auf die übrige Welt. Wer seinen Blick weiterhin auf diesen besten Fall verengt, taugt kaum für die realitätsbezogene Lösungsfindung. Zugleich ist es immer wieder erstaunlich, wie die Politik Armeefragen hierzulande beharrlich unter rein innenpolitischen Gesichtspunkten erörtert, wo doch Antworten zum überwiegenden Teil von politischen und technischen Entwicklungen im Ausland beeinflusst sind. Vielleicht könnten Zeitungen einen Beitrag zur Beseitigung dieses Missverständnis leisten, indem die Artikel über unsere Sicherheitspolitik künftig ausschliesslich auf den Ausland­seiten publiziert werden. Sichtbar würde so beispielsweise auch, wie stark der Dialog der Völkerrechtler hinter der Entwicklung zurückbleibt.

Nachdem der «best case» also weiter auf sich warten lässt, gilt es, sich politisch den wahrscheinlichen Szenarien möglicher Entwicklungen anzunehmen. Diese beinhalten leider alle eine Fülle von Rivalitäten, Machtkämpfen, bewaffneten Konflikten und Kriegen. Ein besonders schlimmer Fall für die Schweiz, der nach Antworten verlangt, ist das Auftreten eines Feindes, der die technische Überlegenheit unterläuft und unsere friedvolle, das Leben liebende Gesellschaft überwältigen will. Die Armeeführung hat darüber hinaus – was das Erfassen und Beschreiben von Bedrohung anbelangt – Fortschritte gemacht. Was der Chef der Armee seinen Generalstabsoffizieren dazu kürzlich mitgeteilt hat, ist etwas vom Besten, was man hierzulande die letzten 15 Jahre lesen konnte. Darauf gilt es, aufzubauen und die offensichtlichen Mängel bei der Umsetzung in ein neues Armeeprofil zu beheben.

Während die Politik in einem nächsten Schritt Antworten auf diese wahrscheinlichen Fälle zu geben hat, müssen sich kluge Planer unaufgeregt dem «worst case» annehmen, etwa der raschen Entwicklung der Raketentechnik und den Auswirkungen des Netzkriegs jüngster Generation. Strategische Überlegungen zum «worst case» sind keine Prognosen, sondern Denkhilfen für die Vorsorge. Dies zu verstehen, ist Voraussetzung für die Mitarbeit an der sicherheitspolitischen Zukunft, genau so wie der Wille zur Selbstbehauptung.

Kommentar von Beni Gafner in der BAZ